: Kerstin Hensel
: Falscher Hase
: Luchterhand Literaturverlag
: 9783641012557
: 1
: CHF 6.10
:
: Erzählende Literatur
: German
: 224
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Kerstin Hensels Berlin-Roman: deutsche Geschichte, gespiegelt im mörderischen Leben zweier Biedermänner
Der Brandmeister Heinrich Paffrath hat sich von jungen Jahren an der Bekämpfung von Feuer verschrieben.
Beim Brand des Reichstags hat er an vorderster Front das Feuer zu löschen versucht; von Adolf Hitler erhielt er für diesen Einsatz ein persönliches Dankschreiben. Trotzdem hält er sich von der Politik fern, seine proletarische Mutter hatte ihm das dringend ans Herz gelegt.
Auch sein Sohn, Heini Paffrath, hält sich aus den Entwicklungen der Zeit heraus. Er hat sich in eine Zahnarzthelferin verliebt, und als diese 1961 nach dem Bau der Mauer im Ostteil der Stadt bleibt, verläßt er Westberlin, wird in Ostberlin Volkspolizist und geht seinem Beruf als Ordnungshüter auch dann noch ungerührt nach, nachdem er seine große Liebe aus Enttäuschung glaubt umgebracht zu haben.
Kerstin Hensel erzählt aus dem Leben zweier Männer, die strebsam ihren Berufen nachgehen. Sie halten sich von allem Getriebe der Welt fern, um hinter der biederen Fassade um so besser ihre verzweifelt finsteren Abgründe verbergen zu können. Heinrich und Heini Paffrath sind zwei »falsche Hasen«, auf die jederzeit Verlaß zu sein scheint, zwei Stützen der deutschen Katastrophengeschichten des 20. Jahrhunderts.

Kerstin Hensel wurde 1961 in Karl-Marx-Stadt geboren. Sie studierte am Institut für Literatur in Leipzig und unterrichtet heute an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Bei Luchterhand sind zuletzt erschienen: die Liebesnovellen »Federspiel« der Band »Das verspielte Papier - über starke, schwache und vollkommen misslungene Gedichte« sowie der Lyrikband »Schleuderfigur«. Kerstin Hensel lebt in Berlin.

Am 21. Dezember 1941, elf Uhr nachts, während Bomben auf Berlin fielen, verbot der Feuerwehroberst Heinrich Theodor Paffrath sich und der werdenden Mutter jegliche Ängste.

Heinrich Theodor Paffrath. Der Vater. Das Bild, das sich aus Heinis Träumen löst: undeutlich, braunfleckig, jedoch in schneidender Gegenwärtigkeit. Heinrich Theodor, ein echter, ein starker Name. Kein kleingetaufter Kosename wie Heini, sondern eine Mannesbezeichnung mit Anklängen an Herrschaft und Gott, im Ganzen siebensilbig – was für ein ausdauernd stolzer Klang!

Heinrich Theodor Paffrath hatte sein Leben dem Feuer verschrieben. Besser: der Bekämpfung desselben, denn Feuer, so sehr es ihn faszinierte, erweckte in ihm frühzeitig den Wunsch, es gleichsam zu bändigen, zu ersticken, kurz: es zu beherrschen. Dabei war Heinrich Theodor eher still, in sich verschlossen und von hilfreicher Güte und pflegte er seinen Feuerbändigungstrieb im Geheimen. Schon als Kind bastelte er Löschbomben aus Einkochgläsern, die er mit Wasser füllte und auf raffinierte Weise mittels Zündschnur und Schießpulver zum Explodieren brachte. Im Konfirmandenalter konnte Heinrich Theodor vor seinen Schulfreunden mit einer Neuerfindung prahlen: Man legte in einem Holzschuppen Feuer, Heinrich Theodor zündete eine mit Salpeter Schwefel Kohle gefüllte Pappkapsel an und warf sie in die Flammen. Mit paffendem Knall zerriß es die Kapsel. Fetter grusiger Rauch füllte den Schuppen, erdrückte das Feuer.

Als Heinrich Theodor Paffrath beim Feuerlöschgerätehersteller Gattberg in Berlin-Tempelhof eine Ausbildung begann, war er dem Meister längst voraus. Er beherrschte bereits jegliche Theorie, stellte sich äußerst geschickt an im Montieren und Installieren von Löschanlagen, hatte Ideen für kühne Neuentwicklungen, aber wenn die Zeichnungen zu kompliziert wurden, verließen Heinrich Theodor die Kräfte. Er saß vor dem Reißbrett und sah nichts als wirre Linien. Von den fertigen Modellen, die man ihm, voll des Lobes für seinen Erfinder, vorführte, hielt er nicht mehr als von einem Spielzeug. Als ob Heinrich Theodor jemand auf der Höhe seiner Begabung eine Wand vor den Kopf baute, ihm die Gedanken abwürgte. Als ob eine stärkere, gleichsam idiotische Macht den jungen Mann fesselte, damit er die Schritte, die er tun sollte, nicht vollführen konnte.

Aber solche Anfälle von Bewußtseinstrübung legten sich, wenn man ihn nur in Ruhe ließ.

 

Noch mit zwanzig Jahren wohnte Heinrich Theodor bei seiner Mutter Lore auf der Eisenzahnstraße in Berlin-Wilmersdorf.

Vater war im September 1918 in Cannières gefallen. Der Apotheker Heinrich Johannes Emil Paffrath. Erfinder der Sechserlei-Tropfen, Heilkundler. Selbst aus dem Schützengraben von St. Quentin schickte er getrocknete gepreßte Wurzeln und Kräuter nach Hause und schrieb dazu, wie man dieselben als Herz- und Schmerzmittel einsetze.Nun lebt wohl, Gute Nacht, meine Lieben! – Ein ganzes Fläschchen Sechserleitropfen trank Lore Paffrath nach der Todesnachricht: auf zehn Gramm Äther gelöste Baldrian-, Minze,- Kümmel-, Kalmus-, Kamille- und Benediktenkrauttinktur, was sie aus dem Bewußtsein schlug und Tage später ein Feld für Zorn und Haß in ihr bestellte.

Mutter führte den Haushalt, regelte auf stille, nachgiebige Art den Alltag ihres Jungen. Auf den Küchenfenstersimsen hatte sie aus Blumentöpfen und Pflanzschalen ein Gärtchen erstellt: zwischen Salbei Thymian Lavendel wuchsen Stiefmütterchen Petunien Begonien. In anderen Töpfen sproß Kresse Dill Petersilie. Täglich lockerte Lore mit einer Gabel die Erde, grub zerstoßene Eierschalen als Dünger unter, beschnitt Blumen, erntete Gewürze, zerkleinerte mit einem Wiegemesser alle eßbaren Pflanzen, gab sie unters Rührei oder trocknete oder legte sie in Salz und Öl ein. Für schlimme Zeiten. Für Zeiten, in denen die Sechserleitropfen zur Neige gehen sollten. Durch ihr Gärtchen hindurch spürte Mutter Lore, was im Land aufzog.

»Es wird wieder Krieg geben«, sagte sie zu Heinrich Theodor und wiederholte zu jeder Tageszeit, was sie befürchtete, endlose angstgetriebene Klagen. Dabei zupfte sie Salbei, rebelte Thymian, schnitt Lavendel ab gegen die Motten.

»Du hörst das Gras wachsen«, sagte der Sohn.

Täglich ging er zur Ar

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