: Hanns-Josef Ortheil
: Faustinas Küsse Roman
: Luchterhand Literaturverlag
: 9783641108687
: 1
: CHF 7.80
:
: Erzählende Literatur
: German
: 352
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der römische Herumtreiber Giovanni Beri tut sich gerade an einem Teller Makkaroni gütlich und träumt von seinem nächsten Glas Wein. Da fällt ihm ein Reisender auf. Der sonderbare Herr gestikuliert mitten auf der Piazza del Popolo, als hätte ganz Rom auf ihn gewartet. Wer ist dieser Mann, ein adeliger Spinner, ein Advokat oder gar ein Spion? Beri, der neben seinen Gelegenheitsarbeiten auch den Patres des Vatikans mit Informationen zu Diensten ist, beschließt, den merkwürdigen Fremden näher unter die Lupe zu nehmen. Doch bevor er sich's versieht, verliert Beri nicht nur den Überblick, sondern auch seine Geliebte Faustina, und zwar ausgerechnet an den Mann, den er observiert, den berühmtesten aller Italienreisenden: Goethe.

'Am 3. September 1786, morgens oder vielmehr nachts um drei, damit niemand die Abreise bemerkt, stiehlt sich Goethe in der Postchaise davon, nur einen Jagdranzen und Mantelsack als Gepäck', so beschreibt Richard Friedenthal in seiner Goethe-Biographie die heimliche Ausreise aus Weimar. Was hier so geheimnisvoll angedeutet ist, hat Hanns-Josef Ortheil zum Anlaß genommen, eine höchst amüsante Geschichte um den Besuch des Dichtervaters in der ewigen Stadt zu spinnen.

Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den beliebtesten und meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Thomas-Mann-Preis, dem Nicolas-Born-Preis, dem Stefan-Andres-Preis und dem Hannelore-Greve-Literaturprei . Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.

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In dem kleinen Weinausschank in der Nähe der Kirche Il Gesù drängten sich die Trinker. Beri schlich hinein, bestellte ein Glas und verhielt sich ruhig. Wie viele Diener Seiner Heiligkeit hier wohl sein mochten? Er musterte die anderen verstohlen, die meisten waren schon betrunken und redeten mit großen Gebärden aufeinander ein. Ob sich einige verstellten? Beri versuchte, ihr Mienenspiel zu ergründen, doch er kam nicht weit mit seinen Beobachtungen. Die meisten hier sind arme Teufel‹, dachte er, ›sie haben keine Ahnung, welcher Künste es bedarf, die Geheimnisse der Fremden zu erforschen! ‹ Er, Beri, glaubte sich darauf zu verstehen, doch bisher hatte Seine Heiligkeit ihn noch nicht mit einem Auftrag bedacht. Mehrere Male hatte er schon versucht, einen solchen Auftrag zu erhalten, aber Seine Heiligkeit hatte es sich nach kurzer Bedenkzeit meist anders überlegt.

Tausende von Spionen waren im großen Rom für den Heiligen Vater unterwegs, manche seit Jahren oder gar Jahrzehnten, die besten erhielten sogar ansehnliche Pensionen und lebten gut von den Nachrichten, die sie gesammelt hatten. Das Ausspionieren war ein eigenes rentables Geschäft, man mußte die Eigenarten der Fremden begreifen, zumindest einige Worte ihrer Sprache beherrschen und jeden Winkel des großen Rom kennen, um sich jederzeit verbergen zu können.

Ecco..., gab es für solche Dienste einen, der besser geeignet gewesen wäre als er, Giovanni Beri? Und doch hatte man ihn bisher übersehen. Aus seiner Zeit als Corriere kannte er die Stadt wie kaum ein anderer, kaum einen Palazzo gab es, den er nicht betreten hatte, kaum eine Gasse, in der er nicht ein paar Treppenstufen und Seitentüren wußte, um sofort aus dem Blickfeld zu verschwinden. ›Iich eiße Filippo Millär...‹, dachte Beri lächelnd auf deutsch, ›iich koome auss Deutschlaand.‹ Solche Sätze beherrschte er mühelos und noch viele andere, schwierige, in dieser holprigen, unmöglichen Sprache, deren Laute so klangen, als habe sie ein verstimmter Kontrabaß zusammengeschrummt.

Gut, jetzt kam es darauf an! Dieser Ausschank hier war eine der bekanntesten Anlaufstellen für solche, die ihre Nachrichten loswerden wollten. Die meisten Römer wußten von ihr. Hier befand man sich auf dem untersten Niveau, der untersten Sprosse der Leiter, die weit hinauf führte, bis zu den geheimen Zimmern Seiner Heiligkeit drüben in den vatikanischen Gemächern. Jeder wußte, wie mißtrauisch und vorsichtig Seine Heiligkeit war, alles, was in Rom vor sich ging, wollte er wissen, Tag und Nacht. Die besten seiner Spione setzten lange Schriftsätze auf, Seite um Seite, wahre Wunder an Beobachtungsgabe und Scharfsinn, die Seine Heiligkeit über alle Vorgänge in Europa in Kenntnis setzten, so daß er die Staatsgeschäfte der Völker jederzeit vorauszuberechnen wußte. Daher stand er in dem Ruf, der bestinformierte Mann des Erdkreises zu sein, wie es sich für einen Stellvertreter Christi gehörte.

Beri grinste, als er sich die geheimen Gemächer Seiner Heiligkeit ausmalte. Überall lagen stapelweise ausführliche Berichte und Aufzeichnungen herum, nach Ländern und Erdkreisen sortiert. Die vielen Zimmer Seiner Heiligkeit versanken allmählich in diesen Botenmeldungen, sie überschwemmten Möbel und Fußböden, sie wuchsen an den Wänden hinauf wie gierige Pflanzen, die von immer neuen Stapeln gestützt und genährt wurden.

Schluß damit, er durfte sich solche Phantasien jetzt nicht erlauben. Langsam, Schritt für Schritt, arbeitete er sich zu den Holzfässern vor, mit deren Wein unaufhörlich die Karaffen gefüllt wurden. Dann beugte er sich hinüber zu dem Schankwirt, der sein Näherkommen bemerkt zu haben schien.

»Ich möchte mit dem Padre sprechen«, flüsterte Beri ihm zu.

»Wie heißt Du?«

»Giova