: Maria Àngels Anglada
: Die Violine von Auschwitz Roman
: Luchterhand Literaturverlag
: 9783641037949
: 1
: CHF 6.40
:
: Erzählende Literatur
: German
: 176
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Wiederentdeckung der Grande Dame der zeitgenössischen katalanischen Literatur!
'Die Violine von Auschwitz' erzählt die Geschichte des Geigenbauers Daniel, dessen Überleben im Konzentrationslager vom Bau einer Geige für einen Lagerkommandanten abhängt - einer Geige, die inmitten des Grauens zum Symbol für Hoffnung und Menschlichkeit wird.

Bei einem Gastspiel in Krakau lernt der Pariser Musiker Climent die polnische Geigerin Regina kennen, die ihn mit ihrem virtuosen Spiel und dem vollen Klang ihrer Geige tief beeindruckt. Sein Interesse für diese besondere Violine führt ihn auf die Spur einer Geschichte, die im nationalsozialistischen Deutschland ihren Anfang nimmt. Es ist die Geschichte des jüdischen Geigenbauers Daniel, der in einem Nebenlager von Auschwitz interniert ist. Eines Tages bekommt er vom Kommandanten des Lagers den Auftrag, eine Geige in bester italienischer Tradition anzufertigen. Was Daniel aber erst später durch Zufall erfährt: Der Auftrag beruht auf einer infamen Wette des Kommandanten mit dem skrupellosen Lagerarzt: Gelingt Daniel der Bau der Geige, erhält der Kommandant eine Kiste Wein; wenn er scheitert, bekommt der Arzt Daniel als Objekt für seine teuflischen Unterkühlungsexperimente. Inmitten des Grauens erschafft Daniel schließlich ein Instrument von seltener Schönheit. Ein Instrument, das ihm wider alle Wahrscheinlichkeit sein Leben rettet und noch Jahrzehnte später von seinem Schicksal kündet.

Maria Àngels Anglada, 1930 in Vic geboren, 1999 in Figueres gestorben, gilt als eine der renommiertesten Autorinnen Kataloniens, die sowohl für ihre Prosa als auch für ihre Gedichte, literaturkritischen Studien und Essays verehrt wird und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. 'Die Violine von Auschwitz' ist ihr bekanntestes Werk, das sich allein in Katalonien über 100 000 Mal verkaufte und in 12 Ländern erscheint.

Dezember 1991

Immer wenn ich ein Konzert gegeben habe, fällt es mir schwer, nachts einzuschlafen. So als ließe ich ein Tonband laufen, das sich pausenlos wiederholt, kehrt es dann ständig in mein Gedächtnis zurück. Jenes Konzert, das am zweihundertsten Todestag Mozarts stattgefunden hatte, war zudem etwas Besonderes gewesen. Wir hatten in Krakau, einer Stadt herausragender Musiker, in einem für Konzerte adaptierten Saal der prächtigen Tuchhallen gespielt. Das kalte Wetter hatte uns daran gehindert, ausgiebig durch die Stadt zu spazieren, die reich an Kunstwerken ist. Nur zu Mittag, als die Sonne den Nebel vertrieb, war ich eine Weile über den Rynek Glowny geschlendert, bevor ich ins Hotel zurückkehrte.
Im ersten Teil des Konzerts war Virgili Stancu, der Pianist unseres Trios, auf den Vorschlag der polnischen Veranstalter eingegangen und hatte, obwohl der Abend Mozart gewidmet war, Chopins Preludes vorgetragen - kunstvoll wie immer. Im zweiten Teil hatten er und ich die Sonate in b-Moll gespielt, die Mozart einst für Regina Strinasacchi, eine von ihm äußerst bewunderte Geigerin, komponiert hatte. Wir waren auch noch geblieben, um das Orchester zu hören, das die Konzertante Symphonie KV 364 makellos interpretierte, alle klanglichen Ebenen herausarbeitete und hinter dem heiteren, klaren Geflecht der Phrasierungen die dramatische Tiefe durchscheinen ließ.
Vor allem der Klang der ersten Geige hatte meine Aufmerksamkeit erweckt. Die Konzertmeisterin, eine ältere Frau, spielte sie mit äußerst reiner Intonation und, wie mir schien, mit echter, verhaltener Leidenschaft.
Ihre Augen waren traurig, wenn sie nicht spielte.
Es war spät geworden, ich sehnte mich nach Elektra, und es kam mir so vor, als hätte ich noch immer den Klang dieser Geige im Ohr. Er war nicht besonders tragend, wohl aber samtig weich und voll. Gewiss handelte es sich nicht um ein von den großen Meistern aus Cremona gebautes Instrument, vielleicht aber, so vermutete ich, um eine Geige der alten polnischen Schule. Sollte etwa eine Mateusz Dobrucki aus Krakau all die Zerstörungen überlebt haben? Ihre rötliche Farbe war mir allerdings dunkler, nicht so transparent vorgekommen. Sie konnte jedoch auch eine Tiroler
Arbeit sein oder von einem Mitglied der Mittenwalder Geigenbauerfamilie Klotz stammen.
»Nein, du siehst doch, dass es keine Klotz ist.« Sie hatte es lächelnd gesagt, aber ihr Lächeln hatte keine Fröhlichkeit ausgestrahlt. Das war am Tag nach dem Konzert gewesen. In der Nacht zuvor hatte ich beschlossen, die Geigerin persönlich nach der Herkunft des Instruments zu fragen, und mich dann, um nicht mehr weitergrübeln zu müssen, in die Lektüre eines dieser großartigen Krimis von Eric Ambler vertieft, die mir stets einen friedlichen und tiefen Schlaf verschaffen.
Wir trafen uns in der Musikhochschule der Stadt - hier nennt man sie nicht Konservatorium -, wohin ich eingeladen worden war. Zunächst bewunderte ich im weitläufigen Foyer die Ölporträts berühmter polnischer Musiker, von den ältesten bis hin zu meinem Kollegen Wienasky, und hielt dann in einem kleineren Hörsaal eine Unterrichtsstunde, eine sogenannte Meisterklasse, ab.
Danach legte mir die Frau die Geige in die Hände, ihre Geige. Ich probierte sie aus: Die Saiten gehorchten mir, wie ich es von ihnen verlangte, wie geschmeidiger Ton in den Fingern, die ihn modellieren. Es war ein kleines Wunder.
»Du würdest dich wohl kaum von ihr trennen wollen, oder?«
»Um nichts in der Welt!«, antwortete sie. »Und wenn ich vor Hunger sterben müsste. Sie ist das Einzige, was mir von meiner Familie geblieben ist. Diese Geige hat mein Onkel Daniel gebaut - nach den Maßen einer Stradivari. Niemals würde ich sie gegen eine andere tauschen.«
»Dann verstehe ich, dass du sehr an ihr hängst.«
»Oh, nein, das kannst du nicht verstehen. Dazu müsstest du die ganze Geschichte kennen.«
Ein Schatten tiefer Traurigkeit umwölkte ihre hellen Augen und verstärkte die Falten in ihrem schönen Gesicht. Ihre Hand strich wirkungslos über das blonde, von Silberfäden durchzogene Haar.
Wir mussten unser Gespräch unterbrechen, weil ich zugesagt hatte, im Festsaal dem Konzert der Streicher aus den Abschlussklassen beizuwohnen, die das Intermezzo von Penderecki, dem langjährigen Rektor dieser Schule, aufzuführen gedachten. Im Anschluss daran gab es eine kleine Feier, die meine Kollegin aber eher zu langweilen schien.
»Bist du die Feier nicht leid?«, fragte sie mich schon sehr bald. Ich war es nicht, doch die Geigerin hatte meine Neugierde und mein Interesse geweckt.
»Es macht mir nichts aus zu gehen«, sagte ich. »Meiner Verpflichtung bin ich schon nachgekommen. Wenn du willst, begleite ich dich nach Hause.«
Sie wohnte in der Nähe der Musikhochschule, und wir trotzten zu Fuß dem kalten Wetter jenes schon wieder in Nebel gehüllten Spätnachmittags. Sie lud mich auf eine Tasse heißen Tee zu sich ein. Ihre Wohnung war klein, schlicht - das Leben war hart in Polen. Ich kam nicht mehr auf die Geige zu sprechen, wollte sie zerstreuen, sie auf andere Gedanken bringen. Kurz sprach sie von ihrem Sohn, zeigte mir ein Foto und erzählte, dass er nach Israel gegangen war. Sie aber wollte nicht fort.
»Was soll ich denn dort machen? Er ist Diamantenschleifer und hat einen guten Arbeitsplatz; inzwischen gibt es doch so viele Musiker in Israel, vor allem viele Russen, sie könnten hundert Orchester gründen! Aber er kommt zum Rosch ha-Schana und zum Passah-Fest auf Besuch.«
Schließlich begannen wir über Musik zu sprechen und diskutierten, während wir die Aufnahme der Konzertanten Symphonie hörten, einige Interpretationsprobleme. Und am Ende - so ergeht es mir immer - musizierten wir selbst, denn sie war auch eine gute Pianistin, und das Klavier nahm praktisch die Hälfte des
Raumes ein, der zugleich als Ess-, Wohn- und Musikzimmer diente. Das Musizieren brachte uns einander näher, als es stundenlange Gespräche vermocht hätten, und ich fühlte mich ihr freundschaftlich verbunden. Für einen kurzen Moment glaubte ich - vielleicht war es auch nur Einbildung -, in ihren Augen und auf ihren glühenden Wangen einen Funken, einen Hauch von Begehren zu entdecken, aber womöglich galt er nur der Musik. Mein Gott, dachte ich, sie ist doch viel älter als ich!
Wir spielten in perfekter Übereinstimmung die Sonate zu Ende.