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»Sie sieht wirklich fantastisch aus!«, schallte es vom Hof herauf.
»Moin, Karsten!«, rief Malte Janssen von der Aussichtsplattform im Obergeschoss des Werftgebäudes hinunter, als er seinen Freund erkannte, der zwischen den aufgebockten Bootsrümpfen hindurch über den Platz lief. »Ich hoffe, der Eigner sieht das genauso.«
»Ich komm mal hoch zu dir«, rief Karsten Hauser.
»Tu das. Gibt sowieso noch einiges zu besprechen.«
Während Hauser begann, die Außentreppe hochzusteigen, ging Maltes Blick wieder zurück zu der schneeweißen Segelyacht, die – noch ohne ihren Mast – seit zwei Tagen im Wasser lag, festgemacht am Kai vonJanssen& Söhne Yachtbau. Fünf Mitarbeiter, alle in türkisfarbenen Overalls mit dem Werftlogo auf dem Rücken, wieselten in der ersten Morgensonne auf dem Schiff herum, um die Vorbereitungen für das Stellen des Masts zu treffen. Der lag bereits in seiner ganzen imposanten Länge nebenan am Kai, bereit, vom Kran an Deck gehoben zu werden.
Tief atmete Malte Janssen die frische Luft ein. Ein paar faserige weiße Zirruswolken hoch oben am hellblauen Himmel versprachen einen weiteren sonnigen Tag, und zu dieser frühen Stunde war es fast windstill. Ideale Bedingungen für die Montage des mächtigen, sechsundzwanzig Meter hohen Mastes. Nur kurz sah Malte einem Fischerboot nach, das gerade hinter der Hafenmole hinaus auf die glatte Ostsee tuckerte, dann kehrte sein Blick sofort wieder zurück zu dem Bild, das sich ihm da unten am Kai bot.
Wahrhaft eine eindrucksvolle Schönheit, dieWeiße Möwe, wie sie nach ihrer Taufe in Sankt Petersburg heißen würde – natürlich auf Russisch:Belaya Chayka. Von hier oben sah man erst richtig, wie groß dieses Segelschiff war. Mit seinen dreiundzwanzig Metern das längste, das jemals beiJanssen gebaut worden war. Das Projekt hatte die Werft mehr als einmal an ihre Grenzen geführt und Malte manche schlaflose Nacht bereitet.
»Ihr stellt wohl gleich den Mast?«, fragte Karsten, als er auf die Plattform trat. »Hoffe, ich störe nicht, aber mich hat es nicht mehr zu Hause gehalten. War einfach zu neugierig.«
»Kann ich verstehen. Außerdem sind ja Sommerferien. Das Leben als Pauker hat schon seine Vorteile.«
»Nur kein Neid!«
»Ich doch nicht. Ich bin ja froh, dass du auf dem Überführungstörn dabei sein wirst.«
»Auf der Jungfernfahrt sozusagen.«
»Stimmt.« Malte grinste. Er wusste, wie sehr sich sein Freund, den er schon seit der Schulzeit kannte, auf den Törn nach Sankt Petersburg freute. Karsten war Lehrer für Mathematik und Physik am Gymnasium in der Nachbarstadt und ein passionierter Segler. Schon seit ihrer Jugend waren die beiden Freunde oft zusammen gesegelt und hatten so manche Regatta gewonnen.
Ganz uneigennützig war es allerdings nicht gewesen, Karsten zur Überführungsfahrt einzuladen. Wenn er an Bord war, musste man sich um Navigation und gute Seemannschaft keine Sorgen machen. Auf der bevorstehenden Reise würden sich bestimmt noch ein paar Probleme am Schiff zeigen, und Malte würde sich mit seinen Technikern um die eine oder andere Nachbesserung kümmern müssen.
»Unser Ziel liegt ja nicht gerade um die Ecke. Eine Woche werden wir schon unterwegs sein – und auch das nur, wenn wir nonstop durchfahren.«
»Achthundert Seemeilen etwa«, sagte Karsten und nickte.
»Eben. Deshalb gibt es da noch ein paar Dinge, die wir vorbereiten müssen. Können wir gleich besprechen, wenn das hier …«
»Chef, wir wären dann so weit«, unterbrach ihn ein Ruf von unten.
Malte sah, dass der Ausleger des Werftkranes bereits sauber über dem Mast positioniert war. »Dann mal los«, rief er und gab dem Mann an den Bedienhebeln des Kranes ein Zeichen. Der schwere Motor dröhnte laut auf und langsam senkte sich der Haken mit den Drahtseilen hinunter.
»Okay, gehen wir runter und helfen ihnen, den Spargel an Deck zu stellen«, sagte Malte und lief zur Treppe.
Zwei Stunden später stand der eindrucksvolle Karbonmast auf derWeißen Möwe und ragte stolz in den Himmel. Es würde aber sicher Abend werden, bis endlich die vielen elektrischen Leitungen verbunden und alle Wanten gespannt wären. Während die Arbeiten am Schiff weitergingen, hatte Malte sich mit Karsten in sein Büro zurückgezogen, eine chaotisch unaufgeräumte Bude oben im Werftgebäude, an deren Wänden eine Menge technische Zeichnungen und Bootsrisse neben Bauplänen in unterschiedlichen Maßstäben hingen. Auch der riesige alte Konferenztisch war über und über mit Plänen, Zeichnungen und Akten bedeckt.
»Hier sieht´s aus wie auf einem Handgranatenwurfplatz«, murmelte Karsten und schob energisch ein paar Blätter auf der Tischplatte z