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Der Wind kam an einem der ersten heißen Tage des Sommers. Ich hatte mein Café früher geschlossen und war mit meiner Familie an den Strand gegangen. Den ganzen Nachmittag über hatten wir geplanscht, Burgen gebaut und Muschelherzen in den feuchten Sand gelegt.
Gegen neun Uhr abends saß ich glücklich und erschöpft auf meinem Handtuch, zwischen Sandeimern, Förmchen und ein paar Pizzakartons. Kleine glasige Wellen rollten an den Strand. Kinderlachen lag in der warmen Luft. Die tief über dem Horizont schwebende Abendsonne ließ alles so hell glitzern, dass ich die Augen zusammenkneifen musste, um Simon und Morlen zu erkennen. Sie trugen nur Badesachen und waren seit Stunden da draußen im Meer. Aber frieren würde heute niemand. Sie hatten ihre Surfbretter dabei, und meine Tochter redete gerade mit ausladenden Gesten auf meinen Freund ein. Dann kam die nächste Welle, und Morlen sprang mit kindlicher Leichtigkeit auf ihr Brett. Simon hatte nur wenige Stunden gebraucht, um ihr das Surfen beizubringen. Manchmal amüsierten die beiden sich darüber, dass Morlen es ihrer Ansicht nach bereits besser beherrschte als ich. Sie zogen dabei vielsagende Grimassen und lachten sich kaputt. Und ich lachte mit. Konnte es ein besseres Zeichen für ihre Zuneigung zueinander geben, als dass sie sich gegen mich verbündeten?
Morlen hüpfte vergnügt von ihrem Board ins knietiefe Wasser, das wie Funken in alle Richtungen sprühte. Dann schwang sie sich wieder darauf und paddelte zurück zu Simon. Sie so unbeschwert und fröhlich zu sehen machte mein Herz leicht. Bei Simon angekommen, ließ sie ihre Beine links und rechts vom Brett baumeln. Die beiden saßen nun direkt vor der funkelnden Sonne. Vom Strand sahen sie wie pechschwarze Scherenschnitte aus.
Auf meinem Schoß lag der Kopf meiner jüngeren Tochter Hannah. Sie war eingeschlafen. Irgendwann zwischen der dritten Sandburg und der zwölften Qualle, die sie mit ihrem Kescher aus einem Priel gefischt hatte, war sie auf mich zugekrabbelt und hatte sich halb auf mir, halb im Pudersand zusammengerollt. Was gab es Schöneres, als an einem solchen Tag am Meer einzuschlafen, unter freiem Himmel? Hannahs schwarze Löckchen, die sie von Simon geerbt hatte, kräuselten sich schweißnass an den Schläfen. Ihre kleinen Arme waren mit einer Kruste aus Sand, Salzwasser und Sonnencreme überzogen. Sie schmatzte leise im Traum. Ich versuchte behutsam, mein Bein, das einzuschlafen drohte, unter ihrem warmen Körper auszustrecken. Dabei streifte ich mit dem Fuß einen der Kartons, die Simon vorhin aus dem Laden eines Kumpels im Dorf geholt hatte. Mittlerweile war die Pizza kalt, aber Baden und Surfen und Quallensammeln waren wichtiger gewesen.
Ich betrachtete meine Beine, die dort, wo sie nicht von Hannah oder feinem Sand bedeckt waren, leicht gerötet aussahen. Meine helle Haut war nicht gemacht für dieses Wetter. Auf dem Shirt, das ich über den nassen Bikini geworfen hatte, zeichneten sich dunkle Flecken ab. Meine langen Haare waren mittlerweile getrocknet, klebten aber strohig an den nackten Oberarmen. Es würde mehr brauchen als eine kurze Dusche, um uns alle von den Spuren dieses Tages zu befreien.
Ich hörte Morlen rufen und hob den Blick. Sie ließ ihr Board am flachen Ufer treiben, dann kam sie herbeigerannt, wobei sie jede Menge Sand aufwirbelte. Schniefend und triefend beugte sie sich über einen der Pizzakartons zu meinen Füßen und öffnete ihn ha