1. Kapitel
Hampshire, England,11. Dezember1795
Im Mondschein läuft Jane, den Saum ihres Musselinkleids gerafft, über den ordentlich gestutzten Rasen. Das Feuerwerk ist vorbei, aber sie schmeckt noch den schweflig süßen Schwarzpulverrauch im Mund. Die Streichquartettklänge, die aus dem Tudor-Herrenhaus hinter ihr herüberschweben, werden übertönt vom Gelächter einer lärmenden Menge. Es ist neun Uhr abends, und der Ball fängt gerade erst an. Jane und zwei ihrer großen Brüder, James und Henry, sind vor einer knappen Stunde eingetroffen. Schon jetzt haben die feinen Herrschaften aus ganz Hampshire gut getrunken und sind lauter als die Musik.
Auf ihrem Weg durch den Garten duckt Jane sich hinter jede der riesigen, in Form geschnittenen Eiben und vergewissert sich, dass niemand sie sieht. Schon allein bei der Vorstellung, sie könnte entdeckt werden, schlägt ihr das Herz bis zum Hals. Gott bewahre, dass sie erwischt wird, wie sie sich unbeaufsichtigt vom Ball wegstiehlt. Sie hat eiskalte Füße; die perlmuttrosa Seidenschuhe sind längst durchweicht. Sie sind für Pirouetten auf poliertem Mahagoniboden gemacht und nicht für Ausflüge über frostklammes Gras.
Ihr Atem bildet weiße Wölkchen. Kahle Goldregenzweige greifen nach ihr wie die Arme eines übergroßen Skeletts, aber sie läuft unbeirrt weiter. An diesem Abend werden ihr kluger junger Mann und sie sich einig werden. Er wird ihr einen Heiratsantrag machen. Sie weiß es einfach. Welche Worte wird Tom wählen?Teure Jane, erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen … Miss Austen, ich bin der Ihre … Sie wird genau hinhören, sich jede Wendung einprägen. Das könnte nützlich sein, wenn der nächsten ihrer Heldinnen ein Antrag gemacht wird.
Aus dem Gewächshaus fällt flackerndes Licht nach draußen und weist ihr den Weg. Sie drückt behutsam die Klinke herunter, die Tür quietscht in den Angeln. Feuchtwarme, süßlich nach Orchideen duftende Luft schlägt ihr entgegen. Sie tastet nach ihrer Frisur. Ihr Mädchen hat ihr das braune Haar zu einem halbwegs eleganten Knoten gesteckt, und kleine Lockenkringel umrahmen das Gesicht. Wenn die sich stärker kräuseln, werden ihre Brüder wissen, wo sie war, und der Mutter von ihren Eskapaden berichten.
Hinter einer Mittelmeerkiefer tritt eine schlanke Gestalt hervor. Blond, mit edlen Zügen, und unverkennbar in seinem elfenbeinfarbenen Schwalbenschwanz. »Mademoiselle.«
Die tiefe Stimme lässt Janes Herz schmelzen und zieht sie unwiderstehlich zu ihm hin. Einen Schritt vor ihm bleibt sie stehen und blickt unter flatternden Lidern zu ihm auf. »Es war sehr ungezogen, mich hierher zu locken.«
Es blitzt in seinen blauen Augen, ein verführerisches Lächeln spielt um seinen Mund. »Dann haben Sie die Botschaft verstanden?«
»Ich verstehe Sie ganz genau, Monsieur Lefroy.« Ihr Blick bleibt an seinen Lippen hängen, und sie lässt zu, dass er sie in die Arme nimmt und an sich zieht. Sein Mund schwebt über ihrem, sie legt den Kopf in den Nacken, um den Kuss zu empfangen. Sie ist nicht ganz, aber beinahe so groß wie er. Das passt gut, sie beide scheinen dazu bestimmt, einander zu lieben. Aneinander klebend taumeln sie gegen eine Regalwand. Neben Jane gerät ein Terrakottatopf ins Wanken, fällt und zerschellt. Rund um ihre Füße liegt Erde auf den Tonfliesen. Sie löst sich aus der Umarmung und bückt sich, um den Wurzelballen aufzuheben und die Pflanze wieder in ihren angeschlagenen Topf zu setzen.
Tom lässt sich auf ein Knie sinken und umschließt ihr Gesicht mit einer Hand. Ist der Moment gekommen, macht er ihr jetzt den Antrag? Er sucht ihren Blick. »Lassen Sie doch das dumme Unkraut, Jane. Wen kümmert das?«
»Aber ich muss – wir sind hier zu Gast, das wäre doch ungehörig.« Während sie die Orchidee wieder zu den anderen ins Regal stellt, wird aus dem Hämmern in ihrer Brust ein normaler Herzschlag. Sie richtet den hohen Stiel, an dem papierdünne hellgrüne Blüten sitzen, bis die Pflanze wieder aussieht, als sei nichts geschehen. Tom schubst mit der Spitze seines Tanzschuhs ein paar Scherben unter das Regal. »Außerdem kommt sonst heraus, dass wir hier waren …«
Er bringt sie mit Küssen zum Schweigen. Langsam zieht er ihr einen seidenen Handschuh vom Arm. Jane presst die bloße Hand gegen seine, ihre Finger verschränken sich. Unter halb geschlossenen Lidern her