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Gebratene Taube
Das Brot unter meinem Tuch ist immer noch warm. Ich renne, so schnell ich kann, den Straßengraben entlang.
Geweitete braune Nüstern schieben sich mir vors Gesicht und atmen heißen Pferdeatem.
»Aus dem Weg!«, brüllt der Mann auf dem Karren, der aus der Gasse vor mir kommt und sein Tier in den Trubel der Hauptstraße treibt. Die Stute reißt den Kopf hoch, die Trense kracht gegen ihr gelbes Gebiss. Ich springe zur Seite.
Hier kann mich jeder sehen, schimpfe ich mich, als ich aus dem Graben raus und über die Gasse stürme. Ich presse meinen Schatz in die Mulde zwischen meinen Brüsten und laufe an dem scheuenden Pferd und einem Heuwagen vorbei.
»Aye! Das ist sie!«, brüllt der Bäcker. Ich traue mich nicht, nach hinten zu sehen, renne umso schneller und biege in eine schmalere Gasse ab. An der nächsten Kreuzung schaue ich zu einer Seite, täusche ein Zögern an, laufe in die entgegengesetzte Richtung, komme an einem Stall und an einer Schmiede vorbei. Der Sohn des Bäckers kann schneller laufen und zögert nicht, als er mich eingeholt hat. Er packt mich im Nacken und stößt mich zu Boden. Mein Gesicht liegt im Schlamm. Durch die offene Tür vor mir kann ich die Stiefel des Schmieds sehen. Mein Atem kommt vom Rennen stoßweise. Ich schiebe den Brotlaib nach oben und reiße mit den Zähnen den Kanten ab.Kann genauso gut essen, denke ich mir.Wenn ich ins Gefängnis gehe, dann doch lieber mit Essen im Bauch.
*
Anna Owens. Der Schließer ruft mich aus der Zelle. Mich und all die anderen Mädchen, die in derselben Woche hier gelandet sind. Wir sind zwanzig: drei, die irgendwo abgehauen sind und hier in der Gegend weder Verwandtschaft noch einen Bettelbrief haben. Zwei Huren, die kein Stubengeld übrig hatten, um den Konstabler zu schmieren, damit er ein Auge zudrückt. Fünf Taschendiebinnen. Acht Betrügerinnen und Schlimmeres. Nur ein anderes braves Mädchen wie ich. Um ihren Hunger zu stillen, hat sie einen streunenden Hund getötet, nur wie sich herausstellte, war der einem Adelsmann entlaufen. Mehr Pech kann man kaum haben.
Wir gehen hintereinander raus in den nebligen Spätwintermorgen. Nach der Zelle, in der inmitten von so vielen Leibern ein wohliger Mief geherrscht hat, kriecht mir die Feuchtigkeit in die Knochen. Wir gehen auf der Gasse, Karren und Wagen müssen halten, und von den Böcken werden wüste Beschimpfungen gerufen. Das Gericht ist gleich nebenan, aber dies ist Teil der Bestrafung: auf dass jeder unsere Schande sehe. Sie rufen und nennen unsFrevelfrauen undEvas.
Ich wünschte, man könnte sein Inneres zeigen wie das Gesicht. Dann wüssten sie, dass ich keine Frevlerin bin. Wenn sie nur meine Haare sehen könnten und wie sie denen der Königin ähneln. Es sind die gleichen schwarzen Wellen. Dann wüssten die Leute, dass ich gut bin, wie sie. Ich bin keine Eva. Eva hatte sich mit einem Leben in himmlischen Gefilden an des Schöpfers Seite nicht zufriedengegeben. Sie sprang auf die Erde hinab, suchte Adam auf, den Hüter der Felder und Obstgärten,