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Vor acht Monaten hatte ich zugesehen, wie der Sarg meines Vaters in die Erde hinuntergelassen wurde. Heute sah ich zu, wie er wieder ausgegraben wurde.
Mein Onkel Myron stand neben mir. Ihm liefen Tränen übers Gesicht. Sein Bruder lag in diesem Sarg – das heißt, sein Bruder lagangeblich in diesem Sarg –, ein Bruder, derangeblich vor acht Monaten gestorben war, den Myron aber seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte.
Wir waren auf dem B’nai Jeshurun Friedhof in Los Angeles. Es war kurz vor sechs Uhr morgens, die Sonne ging gerade erst auf. Warum wir so früh hier waren? Einen Leichnam zu exhumieren war verstörend für Menschen, hatten die zuständigen Behörden erklärt. Es musste zu einer Uhrzeit passieren, die maximale Privatsphäre bot. Blieben nur spätnachts – ähm, nein danke – oder frühmorgens.
Onkel Myron schniefte und wischte sich über die Augen. Er sah aus, als würde er jeden Moment den Arm um mich legen, deshalb rückte ich ein Stück von ihm ab. Ich schaute auf die aufgewühlte Erde hinunter. Vor acht Monaten war die Zukunft noch so vielversprechend gewesen. Nachdem meine Eltern ihr halbes Leben durch die Welt gereist waren, hatten sie beschlossen, in die USA zurückzukehren, damit ich endlich Wurzeln schlagen und dauerhafte Freundschaften schließen konnte.
Innerhalb eines einzigen Augenblicks änderte sich alles. Das war etwas, das ich auf die harte Tour gelernt hatte. Deine Welt gerät nicht langsam aus den Fugen. Sie zerspringt nicht stufenweise in tausend Stücke. Sie kann so schnell zerstört werden wie ein Fingerschnipsen.
Was war passiert?
Ein Autounfall.
Mein Vater starb, meine Mutter zerbrach daran, und am Ende musste ich zu meinem Onkel Myron Bolitar nach New Jersey ziehen. Vor acht Monaten waren meine Mutter und ich zu diesem Friedhof gekommen, um den Mann zu beerdigen, den wir wie keinen anderen Menschen auf dieser Welt liebten. Wir murmelten die Segnungswünsche mit. Wir schauten zu, wie der Sarg meines Vaters hinuntergelassen wurde. Ich warf sogar eine Handvoll Erde darauf.
Es war der schlimmste Moment in meinem Leben.
»Gehen Sie bitte ein Stück zurück«, sagte einer der Friedhofsangestellten.
Wie nannte man jemanden, der auf einem Friedhof arbeitete?Grabpfleger klang irgendwie zu harmlos.Totengräber zu gruselig. Sie hatten einen Bulldozer benutzt, um einen Großteil der Erde abzutragen. Den Rest erledigten die beiden Männer in Overalls – nennen wir sie Grabpfleger – mit Schaufeln.
Onkel Myron wischte sich die Tränen weg. »Alles okay, Mickey?«
Ich nickte. Er war derjenige, der weinte, nicht ich.
Ein Mann, der eine Fliege trug und ein Klemmbrett in der Hand hielt, machte sich stirnrunzelnd Notizen. Die beiden Grabpfleger hielten inne und warfen ihre Schaufeln aus dem Loch. Sie landeten klirrend am Rand der Grube.
»Fertig!«, rief einer der beiden. »Dann fangen wir jetzt mit der Aushebung an.«
Sie machten sich daran, Nylongurte unter den Sarg zu sch