: Ella Glanz
: Frauenherzen Roman
: Aufbau Verlag
: 9783841200860
: 1
: CHF 6.40
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 240
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Prickelnd wie Crémant, amüsant wie ein Film von Doris Dörrie ... Monika wird vierzig. Die erfolgreiche Journalistin liebt ihren Mann und hat viele Freunde. Doch plötzlich nagen Zweifel an ihr. Um dem inneren Zwiespalt die Stirn zu bieten, wünscht sie sich von ihren Freundinnen Post und bittet sie, ihre persönlichen Geschichten auszupacken. Als sie an Monikas Geburtstag zusammensitzen, prallen die Lebensentwürfe von acht sehr unterschiedlichen Frauen aufeinander: Die wilde Ehe und das ewige Singledasein werden seziert, Internetliebe und Intimrasur auf den Prüfstand gestellt, Karrierefrau trifft auf »Kirchenmäuse«, und es kommen Schlüsselkinder, der Hausbau, sowie Affären mit dem Kollegen auf den Tisch. Acht Frauen offenbaren bestechend selbstironisch und ergreifend ehrlich die Tiefschläge und Höhenflüge ihres Lebens. Ein Roman über die Umwege bei der Suche nach dem richtigen Leben.

Anne Enderlein und Cornelie Kister sind »Ella Glanz«. Anne Enderlein studierte Germanistik, Publizistik und Geschichte in Berlin, sie arbeitet seit 1995 als freie Autorin. Cornelie Kister hat als Autorin und Koautorin zahlreiche Bücher veröffentlicht, sie lebt mit ihrem Mann und den gemeinsamen Kindern in Wiesbaden.
Ibrahim (S. 25-26)

Drei Tage nachdem er sich endgültig vom Steuer seines Ford Mercury verabschiedet hatte, fiel Ibrahim wieder ein, was er einmal in der Detroit Free Press gelesen hatte, nämlich dass Japan ein besseresöffentliches Verkehrssystem hatte als die Vereinigten Staaten. Niemand konnte ihm einreden, dass japanische Autos besser waren; die japanischen Busfahrpläne hingegen schon, davon war er inzwischenüberzeugt. Ganz egal, ob die Straße vereist war oder in der Sonne glühte wie ein heißgelaufener Ford-Motor– der SMART-Bus Nummer 285 hielt jedes Mal um Punkt 18.17 Uhr an der Haltestelle Middlebelt.

Also genau elf wertvolle Minuten zu spät, wenn man nach dem DDOT-Fahrplan ging, den Ibrahim auswendig gelernt und gewissenhaft mit den tatsächlichen Abfahrtszeiten abgeglichen hatte. Auf seinen Gehstock gestützt, mühte er sich in den dritten und letzten Bus, den er auf der 78-minütigen Fahrt von seinem Haus in Dearborn zum nunmehr nur noch neunzehn Minuten entfernten Detroit Metropolitan Airport nehmen musste. Dwayne, der Busfahrer, stand auf und half Ibrahim die Stufen hoch.»Wie geht’s Ihnen, Mr. Ibrahim, Sir?«, fragte er wie jeden Mittwoch und Freitag um 18.17 Uhr. Dwayne sprach genauso väterlich zu ihm wie zu dem sechsjährigen Mädchen mit Zöpfen, das vor ihm in den Bus gehüpft war. Ibrahim hatte immer schon viel jünger ausgesehen, als er war. Er wirkte höchstens wie zweiundachtzig; nichtübel für einen 96-Jährigen. Aber sogar mit zweiundachtzig galt man ja schon als Greis.

Ibrahim hatte sich mit der Zeit daran gewöhnt, dass er von allen wie ein Kleinkind behandelt wurde. Angefangen hatte es an seinem neunundsiebzigsten Geburtstag, als er sich ein Hörgerät zugelegt hatte. Seither wurde es von Jahr zu Jahr schlimmer.»Ganz schön zäh heute, der Verkehr«, sagte Dwayne, als sei das eine Neuigkeit.»Da kann man nix machen«, sagte Ibrahim achselzuckend. Ihm war nicht bewusst, dass es nicht nur sein Alter, sondern auch sein starker Akzent war, der auf andere befremdlich wirkte. Dwaynes Zähne hoben sich blendend weiß gegen seine Haut ab, die so schwarz war, wie Ibrahim es in seinen gesamten achtzig Jahren in Amerika noch nicht gesehen hatte, so schwarz wie die der sudanesischen Erdnussverkäufer, die mit ihren Karren auf den Straßen im Libanon unterwegs gewesen waren. Aber so senil war Ibrahim noch nicht, dass er die Gegenwart mit seiner Kindheit verwechselte.

Es war lange her, seit er und seine Schwestern durch die libanesischen Berge gestreift waren, um frische Feigen für die Marmelade seiner Mutter zu pflücken. Ibrahim setzte sich auf seinen Platz drei Reihen hinter Dwayne und bemühte sich dabei, die junge Frau mit dem Bauchnabelpiercing nicht anzublicken. Als sie aufgestanden war, um ihm den Behindertensitz frei zu machen, war ihr Tattoo zu sehen gewesen. Das Peace-Zeichen befand sich genau da, wo Ibrahims Meinung nach nur Mütter und Ehemänner hinsehen durften. Er drehte den Kopf weg und starrte direkt in das Gesicht der Kleinen mit den Zöpfen.
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