3
Colomba stand auf, bereitete sich mithilfe des Wasserkochers und eines benutzten Teebeutels einen Tee zu, zog dann den alten Parka mit dem Zottelfell à la Chewbacca über den Hausanzug und trat auf die Türschwelle, wo ihr der Wind ins Gesicht schlug. Alles war weiß und gefroren. Die unbefestigte Straße schlängelte sich wie eine harmlose Schlange durch die Landschaft und verlor sich im milchigen Nichts. Die einzigen Geräusche waren der Wind und die Schreie der Krähen.
Colomba zog die Kapuze über die Stirn, um sich vor den Eissplittern in den Böen zu schützen, und kämpfte sich zu dem grauen Wellblechunterstand in der Nähe des Gartentors vor. In der Tasche hatte sie eine Schachtel Streichhölzer. Sie hatte den Kamin noch nie angezündet, aber sie wusste, dass sich in dem Unterstand ein Stapel Brennholz befand, vergraben unter dem Schrott und Plastikmüll vieler Jahre.
Doch noch bevor sie ihn erreichte, blieb sie wie angewurzelt stehen und versank dabei bis zu den Knien im Schnee. Hinter dem Holzstapel waren Fußspuren. Irgendjemand war auf den Zaun geklettert, hatte sich auf der Gartenseite wieder herabgelassen und war hinter dem Haus verschwunden.
Colomba erstarrte und vermochte es nicht einmal, den Kopf zu drehen und den Blick von der Spur zu lösen, die im frischen Schnee einen Halbkreis beschrieb, um sich dann dicht an der Hauswand entlangzuziehen.
Ihre Hand tastete nach der Pistole, aber erst als sie die Tasche leer vorfand, fiel Colomba wieder ein, dass sie ihre Waffe in der Schublade der kleinen Kommode verstaut hatte. In der ersten Zeit nach ihrem Krankenhausaufenthalt hatte sie sie sogar mit ins Bett genommen und war morgens mit dem Geschmack von Waffenöl auf der Zunge aufgewacht. Wieso war sie davon abgekommen? Verdammt!
Fühlst du dich plötzlich allzu sicher?, fragte eine vertraute Stimme in ihrem Kopf, so laut und deutlich, als würde jemand hinter ihr stehen. Ihre Lunge zog sich zusammen. Colomba verlor das Gleichgewicht und stürzte in die skelettartigen Zweige eines verwilderten Rosenstocks. Den Blick in den weißen Himmel gerichtet, hatte sie nur einen Gedanken: Das ist das Ende.
Sie wartete auf den Messerstich, wartete auf den Pistolenschuss.
Wartete auf den Schmerz.
Doch nichts geschah.
Allmählich kehrte der gesunde Menschenverstand zurück, und sie bekam das Zittern unter Kontrolle. Sie befreite sich aus dem Rosenstock und stand auf.
Leo Bonaccorso – das Phantom ihres vergangenen Lebens – würde niemals sichtbare Spuren hinterlassen. Sie würde ihn eines Tages plötzlich vor sich erblicken, wenn sie morgens die Augen aufschlug. Oder er würde sie leise im Schlaf töten.
Es sei denn, er hat etwas anderes im Sinn. Vielleicht will er mich irgendwohin locken, um …
»Hör auf damit«, murmelte sie, wütend auf sich selbst. »Du bist doch verrückt.«
Sie warf noch einen Blick auf die Fußspuren – die hatte sie sich immerhin nicht eingebildet – und lief ins Haus, um die Beretta zu holen. Die Waffe mit beiden Händen fest umschlungen, folgte sie den Spuren des Eindringlings bis zu dem Schuppen auf der Hausrückseite, der als Rumpelkammer diente. Der Riegel war zurückgeschoben, die Tür halb angelehnt, und im dunklen Inneren raschelte es. Colomba hob die Waffe. »Ich hab dich gesehen! Leg die Hände hinter den Kopf und komm raus.«
Keine Antwort. Das Rascheln hatte aufgehört.
»Ich zähle bis drei. Und pass auf, dass ich nicht wütend werde. Eins, zwei …«
Bevor sie bei drei anlangte, hatte Colomba die paar Meter, die sie vom Schuppen noch trennten, zur