: Eugen Zeiser
: Kinder des Wolfskönigs Päj Der erste Frühling
: Books on Demand
: 9783758379642
: 1
: CHF 4.80
:
: Fantasy
: German
: 360
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Um das Geheimnis ihrer Existenz zu wahren, lassen sich die Wolfsmenschen auf das Leben in der Abgeschiedenheit ein, tief im Wald, wo sie sich dem Schicksal der Werwölfe stellen. Der junge Valentin bricht die Ordnung seiner Ahnen, um die Welt für seine Art, für die Menschen und für sich selbst zu einem besseren Ort zu gestalten.

Eugen Zeiser, geboren 1986, ist seit der Kindheit ein Anhänger von Fantasy- und Science-Fiction-Geschichten. Dies hat sich auch im Erwachsenenalter nicht geändert und gab ihm den Ansporn, eigene Geschichten ins Leben zu rufen, neue Welten zu erschaffen und sie durch Bücher Realität werden zu lassen.

WOLFSKINDER


Zum ersten Mal vernahm er die Präsenz des Tieres so deutlich, dass es keine Zweifel geben konnte, dass der Wolf noch in diesem Frühling erwachen würde. Das Gefühl war fremd, wirkte jedoch so, als wäre der Wolf schon immer ein Teil von ihm. Die Kälte nahm er kaum wahr, obwohl er erst gestern zwei Mal in der Nacht zitternd aufwachte. Er glaubte zu hören, wie der Schnee schmolz und das Wasser mit tausenden Rinnsalen aus dem Dorf ins Waldinnere floss. Die Tropfen der Eiszapfen, die vor seinem Fenster wuchsen, reflektierten das rote Morgenlicht und ließen ihn die Augen zusammenkneifen.

Valentin streckte sich. Er schlug die Decke zurück und klopfte das Strohbett zurecht. Die Kraft brodelte in ihm, so als wäre nicht er es gestern gewesen, der den ganzen Tag Hasen durch den Schnee jagte. Seine Lungen schienen unendlich viel Luft aufnehmen zu können, als er mit voller Brust einatmete.

Es klopfte am Fenster. Eine Silhouette verdunkelte das Zimmer.

»Schläfst du noch immer?«, erklang Robins gedämpfte Stimme. »Die anderen warten schon.« Er drückte die Fensterläden auf.

»Wohin wollen sie?«, fragte Valentin, während er die Stiefel unter dem Bett hervorzog. Er seufzte, als er mit dem Fuß auf Feuchtigkeit stieß.

Robin grinste. »Wohin denkst du denn? Zur Wolfsmenschklippe.«

Valentin zuckte zusammen. »Ich mag diese Klippe nicht.«

»Natürlich nicht, du Angsthase. Deswegen gehen wir auch dorthin, um einen richtigen Wolf aus dir zu machen. Stell dich nicht so an. Später wirst du uns dafür danken.«

Valentin sah zur Tür, als er ein Poltern hörte. Einen Moment lang überlegte er, den Eltern einen guten Morgen zu wünschen, verwarf den Gedanken jedoch und stieg aus dem Fenster.

Robins Statur erinnerte an einen Elch, der zwischen den Bäumen huschte. Er war der größte Junge in Windseck, sodass es Valentin meistens schwerfiel, mit ihm Schritt zu halten. Nur nicht heute. Er blieb seinem Freund auf den Fersen.

»Robin.« Valentin fiel einen Schritt zurück. »Ich muss dich etwas fragen.«

Robin drehte sich um, ohne langsamer zu werden. »Kann das nicht warten?« Er blieb stehen und seufzte, als er Valentins Blick begegnete. »Was hast du?«

»Du hast einmal gesagt, du kanntest jemanden vom letzten Frühling, der die Verwandlung hinter sich hatte. Was sagte er denn?«

Robin runzelte die Stirn. Er schwieg eine Weile, während er seinen Freund mit zusammengekniffenen Augen musterte, ihn von links, dann von rechts ansah. Dann beugte er sich vor, um in Valentins Augen zu sehen. Sein Grinsen erstreckte sich von einem Ohr zum anderen.

»Bei dir hat es also auch angefangen, nicht wahr?« Er lachte und klopfte Valentin auf die Schulter. »Das hätte ich von dir so schnell nicht erwartet. Alle Achtung! Ich sagte doch, wir machen einen richtigen Wolf aus dir.«

»Warte. Auch angefangen? Ist es bei dir auch schon so weit?«

»Selbstverständlich!« Robin streckte die Nase hoch. »Vor drei Tagen. Du hast doch nicht ernsthaft damit gerechnet, noch vor mir zum Wolf zu werden?«

»Sieht man es mir etwa an?«

»Ja. Der Rand deiner Augen färbt sich gelb. Sieh her.« Robin kam näher, um die gelbe Umrandung seiner Augen zu präsentieren.

Valentin erschauderte. Die seltsame Verfärbung hatte er anfangs der Morgenmüdigkeit seines Freundes zugeschrieben. Nun wusste er es besser.

»Warum hast du mir nichts gesagt?«

Robin wandte den Blick ab und rieb sich den Kopf. »Nun, ehrlich gesagt, war ich mir selber nicht sicher. Jetzt weiß ich es aber eindeutig. Komm. Wir erzählen es den anderen.«

Samuel mit den Zwillingen Luc und Pior zeigten sich auf der Lichtung. Es hatte den Anschein, sie verbrachten die ganze Nacht hier, nachdem sie sich gestern getrennt hatten.

»Jungs, ihr dürft unseren Angsthasen nicht mehr Angsthase nennen. Der Wolf hat an seine Tür geklopft.«

»Päj sei Dank! Das ist großartig!«, sagte Luc. »Somit sind wir also vollzählig. Ich muss gestehen, das hätte ich nicht so schnell von dir erwartet.« Er stieß Valentin gegen die Schulter.

»Vollzählig? Und keiner von euch Welpen hat mir irgendetwas gesagt?«

»Wir wollten dich nicht drängen. Edgar sagte einmal, der Wolf kommt dann, wenn es für ihn bestimmt ist«, erinnerte Samuel.

Valentin sah den Freunden nacheinander in die Augen. Die gelben Umrandungen hoben sich bei Samuel am meisten hervor.

»Vor der Mutprobe wirst du trotzdem nicht davonkommen, Welpe«, sagte Luc und stimmte die anderen zum Grinsen ein. Valentin seufzte.

Die Steigung die Klippe hinauf wirkte nicht mehr anstrengend. Valentin hielt mit seinen Freunden Schritt und musste kein einziges Mal anhalten, um Atem zu holen. Die Feuchtigkeit im Stiefel verschwand. Das Wetter fühlte sich mild an, obwohl auf dem Berg noch immer Schnee lag.

Ein sachtes Schaudern lief Valentin den Rücken herunter, als er die tote Eiche sah. Der Blitz müsste mehrere Male in sie eingeschlagen haben, sodass der Stumpf in der Mitte einen Spalt bildete. Der einzige übriggebliebene Ast ragte über die Klippe, so als würde die Eiche mit dem ausgestreckten Arm in die Tiefe zeigen. Eine Windböe fegte den Schnee von der Spitze.

»Du zuerst, Valentin«, sagte Robin.

Valentin seufzte. Seine Hände suchten Halt in der alten Rinde. Er staunte darüber, wie warm seine Finger blieben und wie mühelos er diesmal den Baum erkletterte. Er streifte die Schafsfelljacke von den Schultern, um sich von ihr nicht hindern zu lassen.

Der Ast, auf dem er sich bis zur Spitze schieben sollte, erschien nicht mehr so lang. Valentin brauchte sich nicht umzudrehen, um die Verwunderung seiner Freunde zu erkennen, als er sich aufrichtete und mit ausgestreckten Armen auf dem Ast balancierte. Als der Rand der Klippe unter ihm verschwand, fühlten sich die Beine dennoch ein wenig weicher an.

»Das muss nicht sein«, sagte Luc leise.

Der Dunst gaukelte dem Kopf eine weiche Landung vor. Nebel legte sich über die Erde und ließ nur die Baumwipfel erkennen. Valentin überwand den letzten, für die Mutprobe notwendigen Schritt und trat einen weiteren vor, sodass er ganz an der Spitze stand. Der Ast schwankte. Wolken verliehen das Gefühl zu fliegen.

»Das muss nicht sein«, zischte Luc ein wenig lauter.

Valentin atmete tief ein. Sein Herz hämmerte und die Beine wurden weicher. Er zwang sich, dennoch stehenzubleiben. Der Wolf verstärkte nicht nur die körperlichen Fähigkeiten, er schien auch die Angst zu hemmen. Genugtuung überkam ihn, als er meinte, die Herzschläge seiner Freunde zu vernehmen.

Plötzlich hatte es den Anschein, als berührte ihn etwas von der Seite. Valentin traute sich nicht, den Kopf zu bewegen und drehte nur die Augen nach rechts. Die Berührung wurde stärker, obwohl niemand da sein konnte, in einer Höhe wie dieser. Und auf einmal glaubte er, den Grund verstanden zu haben.

Seine Arme und Beine umklammerten den Ast, nachdem er in die Hocke ging. Eine Windböe ließ ihn die Augen zusammenkneifen. Als er sie öffnete, drehte sich sein Kopf vom Anblick nach unten. Er hatte das Gefühl, jemand nahm alle Knochen aus seinem Körper.

Er kniff die Augen abermals zusammen, um sie sofort wieder zu öffnen. Seine Freunde sollten nicht noch mehr Grund haben, ihn Angsthase zu nennen. Der Moment der Angst und Schwäche verschwand wieder.

Valentin schob sich auf dem Ast zurück. Seine Finger waren noch immer warm, als er sich an der Rinde festhielt, um herunterzuklettern, wo sie doch sonst vor Kälte taub blieben. Er landete sanft auf den Füßen, nachdem er sich, über sich selbst staunend, die letzten fünf Schritte fallenließ. Ein Grinsen legte sich auf seine Lippen, als er in die reglosen Gesichter seiner Freunde schaute. Nun hatteer sie dazu gebracht, blass zu werden.

»Und ich dachte, du hättest Höhenangst«, sagte Pior, der als erster die Starre überwand.

»Ich hatte nie Höhenangst. Nur mag ich diese Klippe nicht.«

»Niemand mag diese Klippe«, sagte Robin. »Das vorhin musste aber wirklich nicht sein. Eins muss ich dir aber lassen: Niemand hat es bisher aufrecht gewagt. War das dein Wolf?«

»Ich denke, ja. Ich fühle mich seit heute Morgen stärker.«

»Das tun wir alle. Aber du hast dich überschätzen können. Dein Glück, dass du dich im richtigen Moment festgehalten hast, bevor die Böe kam.«

»Das war kein Glück. Ich habe gespürt, dass sie kommt.«

»Du hast sie gespürt?« Robin runzelte die Stirn und sah die anderen an. »Habt ihr etwas gespürt?« Die Freunde schüttelten die Köpfe. »Na ja, heute ist dein erster Tag. Anfangs spielt der Kopf bei allen ein wenig verrückt.«

»Ich habe sie aber gespürt.«

Robin kicherte. »Das hoffe...