: Ulrike Renk
: Ursula und die Farben der Hoffnung Eine Familie in Berlin
: Aufbau Verlag
: 9783841228239
: Die große Berlin-Familiensaga
: 1
: CHF 8.00
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 528
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

'Ursula ist talentiert, mutig und voller Leidenschaft.' Ulrike Renk 

Potsdam 1911: Ursulas größte Leidenschaft ist die Kunst. Seit sie denken kann, zeichnet sie, alles hat für sie Formen, Farben und eine Geschichte. Als sie die Kunststudentin Vera Dehmel kennenlernt, taucht sie an ihrer Seite in eine ganz neue Welt ein. Nicht nur lernt sie Veras Kommilitonen und Künstlerfreunde kennen, sondern auch ihren Bruder Heinrich. Schnell ist klar, zwischen ihnen besteht eine ganz besondere Verbindung - allen Hindernissen zum Trotz. Die Geschwister Dehmel geben Ursula den Mut, sich an der renommierten Kunstakademie in Berlin zu bewerben und ihren Traum zu verfolgen, Bücher zu gestalten und zu illustrieren. Doch dann bricht der Erste Weltkrieg aus, und plötzlich hat Ursulas Leben alle Farbe verloren. Was ihr bleibt, ist die Hoffnung ... 

Warmherzig und authentisch: Die reale Geschichte einer jungen Künstlerin, die für ihre Eigenständigkeit kämpft 

Die neue Saga von Bestsellerautorin Ulrike Renk - Eine Familie in Berlin:
Band 1: Paulas Liebe
Band 2: Ursula und die Farben der Hoffnung
Band 3: Ulla und die Wege der Liebe 



Ulrike Renk, Jahrgang 1967, studierte Literatur und Medienwissenschaften und lebt mit ihrer Familie in Krefeld. Familiengeschichten haben sie schon immer fasziniert, und so verwebt sie in ihren Bestsellern Realität mit Fiktion. Im Aufbau Taschenbuch liegen ihre Australien-Saga, ihre Ostpreußen-Saga, ihre Seidenstadt-Saga sowie zahlreiche historische Romane vor. 'Ursula und die Farben der Hoffnung' ist nach 'Eine Familie in Berlin - Paulas Liebe' der zweite Band ihrer großen neuen Saga um die Dichterfamilie Dehmel. Mehr zur Autorin unter www.ulrikerenk.de

Kapitel 1


Potsdam 1911

»Viermal, heute hat er sich nur viermal umgezogen.« Margarete von Calenberg wedelte mit den Händen und verzog das Gesicht.

»Aber jedes Mal waren die Fotografen zur Stelle, als er wieder in neuer Aufmachung hereinkam«, sagte Emma von Berghofen, wie die anderen eine der Damen am kaiserlichen Hof, die sich einmal die Woche im Salon von Anna Vorkastner, der Frau des Bürgermeisters, trafen.

»Natürlich waren sie das, schließlich wurden sie von ihm bestellt«, erklärte Anna mit ruhiger Stimme und lächelte. »Ihr wisst doch, dass er sich für sie umzieht, er posiert. Das macht er doch schon seit Beginn seiner Regentschaft.«

»Es wird aber immer schlimmer«, sagte Adelheid von Singen empört. »Alles scheint nur noch für die Öffentlichkeit veranstaltet zu werden. Er reitet ja noch nicht mal aus, ohne dass Kameras dabei sind.«

Ein Klopfen unterbrach sie. Greta, das Mädchen, betrat den Salon, um den Kaffee zu servieren. Vorsichtig stellte es das Tablett mit der Kanne auf den Tisch und schenkte ein. Ihr Blick fiel auf ein überzähliges Gedeck. »Soll ich die Tasse wieder mitnehmen?«, fragte sie leise.

Anna seufzte. »Ursula?«, fragte sie, ohne sich umzudrehenden. »Bist du hier?«

Ursula holte Luft und schob den schweren Brokatvorhang zur Seite, hinter dem sie auf der breiten Fensterbank des Erkers saß. Sie strich sich die dunkelblonden Locken aus dem Gesicht und lächelte ihre Großmutter an. »Ich komme gleich. Ich muss nur schnell etwas fertig machen.« Damit senkte sie ihren Kopf wieder über das Zeichenbuch, das auf ihren Knien lag. Im Raum war es so still, dass man das leise Kratzen des Stifts hören konnte, der über das Papier huschte.

»Deine Enkelin ist hier?«, fragte Emma schrill. »Das wusste ich gar nicht.«

»Aber ja, sie und ihre Schwester sind doch schon seit zwei Wochen bei uns in Potsdam.« Anna lächelte, Ursula sah, dass es sie Mühe kostete.

»Hier – im Raum!«, zischte Emma. »Das meinte ich. Wir sprechen doch über SM‑chen …«, sie räusperte sich, senkte ihre Stimme abermals, »… über Seine Majestät nur im allerintimsten Kreis. Man weiß nie, was so ein Kind nach außen trägt.« Ihre Augen weiteten sich.

»Ursula interessiert sich nicht für Hoftratsch.« Anna tätschelte den Arm ihrer Freundin. »Das hat sie noch nie.«

Regine von Hohenstahl lachte auf. »Richtig. Deine Enkelin hatte immer nur Stifte, Pinsel und Farben im Kopf. Vom wem sie das wohl hat?«

»Nicht von ihrem Vater. Er ist kein Schöngeist, aber ein begnadeter Arzt«, sagte Margarete und seufzte. »Ich habe nie verstanden, warum deine Tochter ihn verlassen hat.«

»Das musst du auch nicht.« Wieder lächelte Anna. »Sie hat einen schweren Weg genommen, aber nun ist sie glücklich, das ist alles, was zählt im Leben, nicht wahr?«

»Sie ist doch wieder verheiratet?«, fragte Emma mit ihrer dünnen Stimme.

»Ja. Sie hat ein zweites Mal geheiratet, und es geht ihr sehr gut.« Anna räusperte sich. »Wollt ihr nicht den köstlichen Apfelkuchen probieren? Meine Köchin hat sich sicher wieder einmal selbst übertroffen.«

Ursula horchte auf. Sie liebte Lises Apfelkuchen. Sollte sie aufstehen und sich an den Tisch setzen? Aber dazu hatte sie keine Lust. Am Tisch hatte sie zu lächeln und sich nett zu benehmen, sollte aber nicht zuhören. Die Gespräche drehten sich meist um die neuste Mode oder um irgendwelche Skandale oder Liebschaften am Hof. Sie würde bestimmt später in der Küche noch ein Stück Kuchen bekommen. Erst einmal wollte sie fertig werden. Unauffällig spähte sie zum Tisch und verglich den Anblick der Damen mit der Skizze, die sie gezeichnet hatte. Hier und dort gab es noch etwas zu verbessern. Vor allem aber stimmte die Perspektive mal wieder nicht – wie so oft. Verzweifelt kaute sie an ihrem Stift. Wieso nur waren die Köpfe immer zu klein? Und der Tisch zu groß? Irgendwann würde sie es hinbekommen.

»Übermorgen hält Paula Dehmel einen Vortrag im Lyzeum-Klub in Berlin«, hörte sie Martha mit ihrer hohen Stimme sagen. »Da möchte ich hin. Ich finde die Frau immer so erfrischend mit ihren lustigen Kinderreimen.«

»Sie hatte es auch nicht leicht im Leben«, sagte Regine. »Ich habe sie einmal bei einem Vortrag erlebt. Ihre Gedanken fand ich gut, ich konnte sie zu einem gewissen Grad nachvollziehen, auch wenn sie doch sehr modern sind.«

»Nicht so modern wie die ihres Mannes«, Emma kicherte verlegen.

»Er ist schon ein großer Poet, doch seine Anschauungen sind tatsächlich manchmal ziemlich gewagt«, meinte Anna nachdenklich. »Habt ihr schon mal Ida Dehmel gesehen?«

»Ja, im Theater in Berlin«, sagte Martha. »Was für ein Anblick.« Die Frauen steckten die Köpfe zusammen, senkten die Stimmen.

Ursula bekam das nur am Rande mit. Sie wollte die Damen nur studieren – wie sie saßen, wie sie die Köpfe hielten.

Der Erker hinter den dicken Vorhängen war einer ihrer Lieblingsplätze. Es roch nach Staub und Pfeifentabak und ein wenig nach getrockneten Äpfeln. Unten auf der Karlsstraße fuhren die Droschken vorbei, Spaziergänger flanierten auf dem Trottoir. Es war ein milder Tag, doch der Himmel hatte die Farbe von geronnener Milch. Ursula lehnte die Stirn an die kalte Glasscheibe und sah nach draußen, sie liebte es, die Leute zu beobachten.

»Betreibst du wieder Studien?«, riss Großmutter sie aus ihren Gedanken. Erschrocken fuhr Ursula hoch. Anna lachte leise. »Ist schon gut, Kind. Ich weiß ja, dass du in deiner ganz eigenen Welt lebst. Aber es wäre schön, wenn du wenigstens ein paar Minuten am Tisch Platz nehmen würdest, sonst denken meine Freundinnen noch, du würdest allmählich seltsam.« Sie zwinkerte ihrer Enkelin zu und reichte ihr die Hand.

Zögerlich schloss Ursula ihr Skizzenbuch, legte die Stifte in die Blechdose, nahm die Hand der Großmutter und sprang von der Fensterbank. Mechanisch schüttelte sie ihr Kleid zurecht und setzte sich an die Tafel. Sie gab einen großen Löffel der geschlagenen, süßen Sahne auf ihr Kuchenstück und aß, ohne aufzublicken. Am Kaffee nippte sie nur, sie fand ihn immer zu bitter, selbst wenn sie drei Stücke Zucker hineintat, obwohl höchstens zwei erlaubt waren.

»Hast du wieder gemalt?«, wandte Adelheid sich an sie. »Du scheinst immer nur zu malen.«

»Ich zeichne meist«, antwortete Ursula bemüht höflich. »Ich male nur selten.«

»Ach so, da gibt es einen Unterschied?«

»Natürlich. Ich male nicht mit Pinsel oder Palette, male keine Flächen, sondern benutze Feder oder Bleistift für feinere Zeichnungen.«

Adelheid schwieg einen Moment. Hatte sie etwa etwas Falsches gesagt?

»Magst du mir deine Werke zeigen?«, fragte Adelheit dann und schaute zu der Mappe, die Ursula auf ein Tischchen gelegt hatte.

Ursula senkte den Kopf. Nein, dachte sie, das mag ich nicht. Aber hatte sie eine Wahl? Großmutter war großzügig, was das Verhalten ihrer drei Enkelinnen anging. Auch hatte sie moderne Ansichten über die Erziehung, fand Belehrungen besser als Bestrafungen und versuchte immer zu erklären, wenn sie etwas verbot, und dafür liebte Ursula sie sehr. Dennoch wusste sie, wann es besser war, sich den Gepflogenheiten zu beugen. Also unterdrückte sie ein widerwilliges Seufzen, holte ihre Mappe und reichte sie Frau von Singen. Schweigend blätterte diese durch die Skizzen.

»Nimmst du Unterricht?«, fragte sie.

Ursula schüttelte den Kopf.

Adelheid kniff die Augen nachdenklich zusammen. »Wie lange wirst du noch in Potsdam sein? Deine Mutter wohnt jetzt bei Barmen?«

»Ja, in Vohwinkel, ich werde wohl nächste Woche zurückfahren.«

»Wie schade«, murmelte Adelheit und schaute zu Anna, doch die war ins Gespräch vertieft. »Und deine Schwester Hilde? Ist sie nicht auch hier?«

»Ja, ist sie. Nur ist sie heute mit unserem Vater unterwegs.«

In diesem Moment öffnete sich die Tür, und ihr Großvater trat ein und begrüßte mit charmanten Worten die Runde.

Anna stand auf und ging ihm entgegen. »Schön, dass du schon zu Hause bist, mein Lieber. Aber um Kaffee und Kuchen zu bekommen, musst du die Köchin bezirzen, nicht uns.«

Karl Vorkastner seufzte gespielt auf. »Darf ich mich...