: Titus Müller
: Die Brillenmacherin Historischer Roman
: Heyne
: 9783641223632
: 1
: CHF 8.10
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 480
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
England im Jahr 1387. Die Kunst des Brillenmachens beherrschen nur wenige Meister. Als Herren über die Sehkraft haben sie großen Einfluss. Um den Geheimbund der Bedeckten Ritter zu zerschlagen, die für Vernunft und Wissenschaft kämpfen und den vogelfreien Bibelübersetzer Hereford verstecken, will sich der Erzbischof von Canterbury diese Macht zunutze machen. Doch Elias Rowe, der beste Brillenmacher weit und breit, will ihn nicht unterstützen und muss sterben. Um den Mörder zu finden, eignet sich die junge Witwe nun sein Handwerk an. Noch ahnt Catherine Rowe nicht, dass sie das Pfand in einem blutigen Krieg ist.

Für diese Taschenbuchausgabe hat der Autor seinen Roman aus dem Jahre 2005 neu überarbeitet.

Titus Müller, geboren 1977, studierte Literatur, Geschichtswissenschaften und Publizistik. Mit 21 Jahren gründete er die Literaturzeitschrift »Federwelt« und veröffentlichte seither mehr als ein Dutzend Romane. Er lebt mit seiner Familie in Landshut, ist Mitglied des PEN-Clubs und wurde u.a. mit dem C.S. Lewis-Preis und dem Homer-Preis ausgezeichnet. Seine Trilogie um »Die fremde Spionin« brachte ihn auf die SPIEGEL-Bestsellerliste und wird auch von Geheimdienstinsidern gelobt.

1


Weißes Licht glitzerte auf dem Wasser der Karpfenbecken. Der Wind wehte die Schirmchen der Kuhblumen hinein und trieb sie wie kleine Schiffe vor sich her. Von Zeit zu Zeit schnappte ein Karpfenmaul danach.

Hinter den Gehöften stakten Krähen über die Felder. Sie stocherten mit ihren dicken Schnäbeln im Stroh nach vergessenen Körnern. Schafe blökten. Braybrooke schien ein idyllischer Ort zu sein, die Art, die der Wanderer in den Midlands für eine Mahlzeit und ein Bettlager auswählt, ein Dorf mit freundlichen Bewohnern.

Catherine lehnte an der letzten Eiche des Rockingham Forest und sah hügelabwärts auf die Ortschaft hinunter. Ihre Augen brannten.

Weiße Wollbausche schmückten den Himmel, die Luft strich warm über das Gras. Hinter den Karpfenbecken ragten fünf Türme aus dem Tal herauf, dunkle, hölzerne Finger. Der mittlere war bis zum ersten Knöchel aus Stein gemauert. Rote Fahnen schmückten die Türme, auf jedes Tuch ein goldenes Kreuz genäht.

Sie wischte sich Schlammspritzer aus dem Gesicht und polierte mit dem Ärmel den gläsernen Ring am Finger. Ihre Füße waren schwarz vom Straßenstaub.

Am Lederband entnahm sie dem Halsausschnitt ihres Kleides die hölzerne Dose. Sie drehte sie mit spitzen Fingern, öffnete den Deckel, zupfte den Lappen beiseite. Sie löste eine Brille heraus und bog die Rundungen am mittleren Nietgelenk auseinander. Zärtlich strich sie über die Einschnitte am oberen Rand der Fassung. Schließlich hielt sie sich die Brille vor die Augen. Ihre Finger griffen durch den Rahmen hindurch. Wo Gläser hingehörten, gähnten Löcher. »Diese bekommst du nicht, Elias. Diese nicht.«

Sorgfältig verpackte sie den Brillenrahmen wieder. Als sie die Dose unter das Hemd geschoben hatte, blickte sie mit zusammengekniffenen Augen auf Braybrooke Castle hinunter, löste sich vom Baum und stieg den Hügel hinab.

Dorfbewohner sammelten Äpfel am Rand der Straße und legten sie in geflochtene, bauchige Körbe. Als Catherine die Brücke erreichte, verstummte das Geschwätz der Dörfler, und sie hielten inne, um sie zu mustern.

Vor einem Haus saß ein alter Mann und nähte einen Schuh. Auf dem Schemel zwischen seinen Knien lagen Ahle, Leder und verschiedene Messer. Der Alte blickte nicht auf, als ihm Catherine einen guten Tag wünschte. Sie wartete einen Augenblick, dann sagte sie etwas lauter: »Ich würde Euch gern um eine Auskunft bitten.«

»Müsst nicht brüllen.« Seine brüchigen Lippen entblößten Zahnlücken.

»Ich suche den Brillenmacher.«

»Ihr seid eine Fremde. Wer schickt Euch?«

»Niemand schickt mich. Könnt Ihr mir sagen, wo ich Elias Rowe finde?«

Bedächtig las der Alte seine Werkzeuge zusammen und klemmte sich zum Schluss noch den Schuh unt