: Reto Lehmann
: Kompassträume
: Vicon
: 9783952592120
: 1
: CHF 1.60
:
: Hauptwerk vor 1945
: German
: 100
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Diese vier Kurzgeschichten sind für alle Erwachsenen gedacht, die gerne das nicht Alltägliche lieben. Für alle, die die Realität mit etwas wie Surealismus gemischt haben.
Kompassträume Kuno liess ein langes, unzufriedenes Sto?hnen durch seinen Mund frei: Seinen A?rger u?ber den verpassten Tag, den er mit Kopfschmerzen im Bett verbringen wu?rde. Er wanderte in Gedanken einen staubigen Bergweg entlang. Die Sonne brannte heiss auf seinen Nacken, sein Ru?cken war nass, durchgeschwitzt, weil er einen schweren Rucksack zu tragen hatte. Im Su?den, dort wo die Sonne hoch am Himmel stand und mit all ihrer Kraft herabschien, konnte er schneebedeckte Gipfel erkennen, Bergriesen, die vor 150 Jahren zum Teil noch unbestiegen waren. Dann hatten sich Wagemutige an die Erstbesteigungen gemacht, abenteuerlich ausgeru?stet, und man hatte nach und nach alle Berge erklommen, auch die steilsten, die abgelegensten und die als unbezwingbar geltenden, bis auf fast allen Gipfeln jemand einen Fuss gesetzt hatte. Doch damit war die Faszination des Bezwingens nicht erlahmt - im Gegenteil. Nun wurden die Berge u?ber Routen bestiegen, die deutlich schwieriger waren als die der Erstbegeher: Grate wurden u?berquert, Wa?nde durchstiegen. Erst die Su?dwand, dann die Westwand, die Ostwand und zu guter Letzt die vereiste und unberechenbare Nordwand. Als alle Routen abgeklappert waren, fingen die Kletterer an, die Berge im Winter zu besteigen. Im Sommer hatte es nur wenig Eis, die Tage waren lang, ein Kinderspiel. Im Winter waren die Tage kurz, man kletterte im Dunkeln, die Temperaturen im Minusbereich, das Eis tat ein U?briges. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis auch im Winter alle Gipfel bestiegen waren und danach alle Grate und Wa?nde. Also begannen die Mutigsten im Sommer die Berge alleine zu erklimmen, dann alleine im Winter, dann ohne Seil, alleine ohne Seil, alleine im Winter ohne Seil. Man erforschte andere Gebirge auf anderen Kontinenten. Dort waren die Berge so hoch, dass mit Sauerstoffflaschen geklettert wurde, doch die Ku?hnsten verzichteten auch auf diese. Alleine, im Winter, ohne Seil, ohne Sauerstoff auf die Da?cher der Welt - und spa?ter, als schon mehrere Bergsteiger dies geschafft hatten, ohne Proviant, ohne Wasser, ohne sich Schnee in den Mund zu stopfen, ohne Pausen, mit Gewichten am Arm, mit Sandalen und einem Kontrabass auf dem Ru?cken und dies alles alleine, im Winter ohne Sauerstoff, ohne Seil. Auf dem Gipfel angelangt, spielte der Bergsteiger auf dem abgeschnallten Kontrabass. Erst nur ein paar To?ne. Doch der na?chste spielte schon eine Sonate, sein Nachfolger ein ganzes Konzert mit drei Sa?tzen, wobei er den Orchesterpart vor sich hinpfiff, obwohl es da oben ja gar keine Luft gab.