Erster Teil
1. Veränderungen
Isabella, genannt Isi, war schreiend aus dem Traum erwacht. Ihr Herz raste, ihr gesunder, junger Körper war nass von Schweiß; er zitterte. Sie hielt sonst nichts von Träumen. Dieser verfolgte sie. Sie stand schon in der Badewanne und duschte sich den Angstschweiß von der Haut, als die Bilder sie noch immer nicht losließen.
Es war in einer Kirche. Vor dem Altar ein Brautpaar. Irgendwo dahinter stand oder saß oder kniete Isi. Die Braut: ein ätherisches, fast körperloses Wesen in einer Wolke aus weißem Tüll. Der Bräutigam nicht mehr jung, leicht graumeliert, schlank und elegant in einem Cut. Als er den Kopf ins Profil wandte, um der Braut den Ring anzustecken, erkannte ihn Isi – es war ihr Vater.
Ein Schuss fiel. Das Echo im Kirchengewölbe rollte wie in den Bergen, vielfach sich wiederholend. Die Braut stürzte vornüber zu Boden, und im Nu war alles rot. Die Tüllwolke, die zarte Gestalt, der Marmorboden, das schwamm in Blut, und es rann und rann, rann als roter Fluss die Stufen hinunter. Eine schreckliche Stimme rief: »Mörderin!« Isabella, genannt Isi, begriff, dass das ihr galt, und jetzt begriff sie auch, dass sie es gewesen sein musste, die geschossen hatte. Sie begann zu rennen.
Schnitt. Ein unterirdischer Höhlengang. Hierher hatte sich Isi geflüchtet, und sie lief, lief um ihr Leben. Aber sie waren schon hinter ihr her. Isi hörte ihre Schritte. Dunkel und immer dunkler, der Höhlengang, er wurde eng, wurde niedrig. Isi musste gebückt laufen. Sie lief nicht mehr, sie taumelte. Und die Verfolger so nah, dass sie ihr Keuchen hörte. Ich kann nicht mehr... Isi wollte sich fallen lassen und aufgeben, im gleichen Moment sah sie in weiter Ferne einen hellen Punkt. Wie in einem Tunnel, wenn er ins Freie mündet. Tageslicht! Da vorn war die Rettung.
Doch jetzt wurde der Gang zur Röhre. Isi konnte nur noch kriechen. Mit ihrer letzten Kraft robbte sie sich dem hellen, sich vergrößernden Punkt entgegen, immer fürchtend, die Röhre würde so eng werden, dass sie darin steckenblieb. Sie schaffte es, erreichte den Ausgang der Höhle, die sich quer durch einen Berg zog, richtete sich schwankend auf und stand auf einer winzigen Felskanzel über einem tiefen Abgrund. Nach oben kein Weiterkommen, alles Wände, so glatt wie Kirchtürme. Als sie sich vorbeugte, um einen Einstieg in die Schlucht zu suchen, sah sie es: Auf dem Grunde dieser Schlucht – Schlangen. Hunderte, Tausende von verwickelten Leibern und züngelnden Rachen. Isi fuhr zurück – und bekam einen Tritt in den Rücken. Schreiend, die Arme weit ausgebreitet, stürzte sie hinunter in die Schlangengrube. Von ihrem eigenen Schrei erwachte sie.
Samstag ist heute.
Isabella, genannt Isi, hat mit ihrem Vater gefrühstückt, etwas später als sonst, beide müssen sie heute nicht arbeiten. Der Vater allerdings tritt eine kleine Reise an, eine jener Klausurtagungen, die zwei- oder dreimal im Jahr auf alten Schlössern, in Klöstern und sonstigen Gemäuern anberaumt werden, freiwillige Zusammenkünfte von Denkmalschützern, Restauratoren und Leuten, die die gleiche Sprache sprechen; und Isi wird ihren Vater, so nimmt sie an, zum Bahnhof fahren; wie immer, wenn er gelegentlich verreist.
Sie, die Tochter, hat ein Auto. Der Vater hat keines. Er hat nicht einmal einen Führerschein. Wozu auch? Technik interessiert den Kunsthistoriker Friedrich Haustein wenig. Ein motorisiertes Fahrzeug zu lenken? Von diesem Wunsch ist er zu keiner Zeit seines Lebens geplagt gewesen. Mit der heranwachsenden Tochter wa