Erstes BuchPlötzlicher Kontakt
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Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang.
Johann Nestroy
Um das gleich von Anfang an klarzustellen: Shorty, dessen abschüssige Geschichte hier erzählt werden soll, waren derlei Gedanken noch nie gekommen. Natürlich besaß er ein Handy, aber er benützte es lediglich zum Telefonieren und um sich während besonders eintöniger Jobs Hörbücher reinzuziehen. Shorty hätte es für vollkommen verrückt gehalten, dass er von so einem harmlosen Gerät ausgelesen oder ausgespäht werden könnte. Er glaubte ohnehin nicht an höhere Mächte oder geheimnisvolle Strippenzieher. Shorty hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie fremdgesteuert gefühlt, er war sich im Gegenteil bei all seinen Schritten ziemlich sicher gewesen, dass er sie wohlüberlegt in die gewünschte Richtung gelenkt hatte. Er fand es eher lustig, dass jemand ernsthaft glaubte, die Beatles seien in Wirklichkeit die vier apokalyptischen Reiter, die mit versteckten Botschaften in ihren Songs das Ende der Welt einläuteten. Shorty wechselte rasch das Programm, wenn im Fernsehen ein Verschwörungstheoretiker wieder einmal mit der abgehangenen These von der inszenierten Mondlandung daherkam. Schwadronierte jemand in der Kneipe vom Kennedy-Mord durch dieCIA (»Kennedy hat zuerst geschossen«), winkte Shorty nachsichtig seufzend nach dem Ober.
»Und selbst wenn es diese obskuren Strippenzieher geben sollte«, hatte er einmal bei einer Silvesterfeier argumentiert, »selbst wenn, dann hätten die doch bestimmt Wichtigeres zu tun, als sich um solche kleinen Würstchen wie uns zu kümmern.«
Nach diesen Worten hatte er ein halbes Glas Erdbeerbowle hinuntergekippt.
»Und Gott?«, hatte einer aus der Geselligen Runde (von der später noch ausführlicher die Rede sein wird) nachgesetzt. »Was ist mit Gott?«
Gerade bei Silvesterpartys kommt das Gespräch immer wieder gerne auf Gott. Vielleicht liegt es an der Erdbeerbowle, die im Kugelglas schwappt und die einem in angeregter Stimmung durchaus vorkommen mag wie ein kleines sternengespicktes Universum voller beweglicher, nach den Kepler’schen Gesetzen einander umkreisender Planeten.
»Also, was ist mit Gott, Shorty?«, hatte der Skeptiker insistiert. »Dann dürftest du ja an den auch nicht glauben, oder?«
»Was hat Gott damit zu tun?«
»Eine geheimnisvolle Macht, die uns alle lenkt –?«
Auf Shortys Gesicht erschien ein ungeduldiger Zug. Schnell tauchte er die Schöpfkelle in die Kugel, um sich mit den vollgesogenen Früchten zu versorgen. Dass er auf diese Weise einen Ananasring und mehrere Erdbeeren aus ihren stabilen elliptischen Umlaufbahnen riss, entging ihm.
»Nur mal angenommen, es gäbe einen. Dann geht doch die Wahrscheinlichkeit gegen null, dass ein Gott an mir und meiner winzigen Existenz interessiert ist! Warum soll ich mich also umgekehrt für ihn interessieren?«
So hatte Shorty damals beim Millenniums-Jahreswechsel argumentiert. Er und die Gesellige Runde hatten sich den snobistischen Scherz erlaubt, den ganzen pompösen Wendeabend mit keinem Wort zu thematisieren, Mitternacht unaufgeregt sitzen zu bleiben und über alles Mögliche zu plaudern, nur nicht über das Jahrtausendereignis. Das Motto des Abends war es, sich gleichsam dem Diktat der schnöden Zahl zu entziehen. Shorty hatte das genossen. Denn das Gradlinige und Naheliegende war seine Sache nicht. Ihn zog alles magisch an, was abseits der ausgetretenen Pfade zu finden war.
Die Jahrtausendwende war lange her, Shorty hatte inzwischen die vierzig überschritten. Er wirkte sportlich, mit einem kleinen Ansatz von Schwarte über dem Gürtel, doch das tat dem fitten, kraftvollen Gesamteindruck kei