: Tim Winton
: Atem Roman
: Luchterhand Literaturverlag
: 9783641112011
: 1
: CHF 6.40
:
: Erzählende Literatur
: German
: 240
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Auf der Suche nach dem ultimativen Kick
Sonne, Meer und Weite - für einen Surfer ist das nicht genug. Er braucht die große, die immer größere Welle. Bruce Pike ist in seinem Leben viele Wellen geritten, er weiß um die Faszination und die Tücken dieses Sports. Dabei fing alles so harmlos an, in seinem kleinen Kaff an der Westküste Australiens: Als Kind tauchte er mit seinem Freund Loonie um die Wette, es ging darum, so lange wie möglich den Atem anzuhalten. Bald entdeckten sie gemeinsam das Surfen - und forderten immer waghalsiger den Tod heraus ...

Tim Winton wurde 1960 in der Nähe von Perth, Westaustralien, geboren. Er hat zahlreiche Romane, Sach- und Kinderbücher sowie ein Theaterstück veröffentlicht und ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller Australiens. Zweimal kam er auf die Shortlist des Man Booker Prize, und viermal erhielt er den Miles Franklin Award, den wichtigsten Literaturpreis Australiens. Seine Werke sind in zwölf Sprachen übersetzt, fast alles wurde für Bühne, Radio oder Film adaptiert. Tim Winton lebt mit seiner Familie in Westaustralien.

Mit Blaulicht und Sirene rasen wir den baumgesäumten Boulevard entlang, und als das GPS uns drängt, die nächste Straße links zu fahren, gehen wir so schnell in die Kurve, dass unsere Ausrüstung schwankt und gegen die Seitenwand knallt. Ich sage keinen Ton. Unten an der dunklen Vorstadtstraße sehe ich das Haus, erleuchtet wie ein Kreuzfahrtschiff.

Gefunden, sagt sie, bevor ich es ihr zeigen kann.

Von mir aus kannst du ruhig langsamer fahren.

Mache ich dich nervös, Bruce?

So was in der Richtung, murmle ich.

Tatsächlich aber fühle ich mich hervorragend. Genau in diesen Augenblicken fühle ich mich wohl, wenn die Nervenenden kribbeln, der Magen sich zusammenzieht vor Erwartung. Es war eine lange, eintönige Schicht, und Jodie und ich waren noch nie die allerbesten Freunde gewesen. Bei der Übergabe bekam ich ein Gespräch mit, das nicht für meine Ohren bestimmt war. Aber das ist Stunden her. Jetzt bin ich hellwach und zappelig vor ängstlicher Anspannung. Los geht’s.

Bei der Anruferadresse schaltet Jodie die Sirene aus und schlägt das Lenkrad ein, um rückwärts die steile Einfahrt hochzufahren. Auch sie steht unter Strom, vermute ich, und kommt sich ein bisschen wichtig vor. Kein übles Mädchen, nur noch etwas grün hinter den Ohren. Sie weiß nicht, dass ich Töchter in ihrem Alter habe.

Als sie die Handbremse anzieht und der Zentrale unser Eintreffen am Einsatzort meldet, springe ich aus dem Wagen, reiße die Seitentür auf und schnappe mir den Wiederbelebungskoffer. Auf dem taufeuchten Gras vor dem Vordertreppchen sitzt ein Mann mittleren Alters, der sich stumm die Schulter hält, und obwohl er sich offensichtlich das Schlüsselbein gebrochen hat, sehe ich sofort, dass es nicht unser Mann ist. Ich überlasse ihn Jodie, laufe die Stufen hoch und rufe in der offenen Haustür meinen Namen und meine Funktion.

Im Wohnzimmer sitzen an den entgegengesetzten Enden einer Ledercouch vornübergebeugt zwei Teenager-Mädchen.

Oben?, frage ich.

Ein Mädchen deutet, ohne den Kopf zu heben, und ich weiß sofort, dass dieser Einsatz nur noch Einpacken und Wegschaffen bedeutet. Normalerweise blitzt beim Anblick der Uniform Hoffnung in den Gesichtern auf, aber die beiden heben nicht einmal den Kopf.

Das fragliche Schlafzimmer ist nicht schwer zu finden. Eine kleine Kotzepfütze im Gang. Ein paar Holzsplitter. Ich steige über die aus den Angeln gerissene Tür und sehe die Mutter am Bett stehen, auf dem der Junge aufgebahrt liegt, und während ich mich leise vorstelle, verschaffe ich mir einen Eindruck. Das Zimmer riecht nach Hasch und Urin und Desinfektionsmittel, und ich sehe sofort, dass sie ihn abgeschnitten und angezogen und alles aufgeräumt hat.

Ich schiebe mich an ihr vorbei und tue, was zu tun ist, aber der Junge ist schon eine Weile hinüber. Er sieht aus wie etwa siebzehn. Am Hals sind frische Quetschspuren zu sehen und auch ältere darum herum. Während ich meine Arbeit mache, hört sie nicht auf, dem Jungen über die dunklen, lockigen Haare zu streichen. Ein netter Junge. Sie hat ihn gewaschen. Er riecht nach Pears-Seife und frisch gewaschener Wäsche. Ich frage sie nach i