1
Robert Jones, der Rektor von St Stephen’s, blickte, die Hände in den Hosentaschen – eine Angewohnheit, derentwegen er seine Schützlinge regelmäßig rügte –, zum Fenster seines Büros hinaus.
Unten sah er Schüler, die die Chapel Lawn, die Rasenfläche vor der Schulkapelle, auf dem Weg zu und von den Unterrichtsstunden überquerten. Seine Hände waren schweißnass, sein Herz klopfte seit dem Unfall noch immer wie wild vom Adrenalin.
Er ging vom Fenster weg und setzte sich hinter seinen Schreibtisch, auf dem ein stetig wachsender Berg unbearbeiteter Papiere sowie eine länger werdende Liste mit unbeantworteten telefonischen Nachrichten lagen.
Robert Jones zog ein Taschentuch hervor, wischte sich damit über den kahlen Kopf und seufzte tief.
Es gab jede Menge potenzieller Albträume für einen Schulleiter, in dessen Obhut sich Hunderte von Jungen und Mädchen im Teenageralter befanden: Drogen, Schüler, die andere schikanierten, und in diesen Zeiten gemischtgeschlechtlicher Internate natürlich das nicht zu bändigende Phantom Sex.
Während seiner vierzehn Jahre als Leiter von St Stephen’s hatte Jones es in unterschiedlichster Form mit allen zu tun gehabt.
Doch jene Krisen waren nichts verglichen mit dem, was sich vergangenen Freitag ereignet hatte. Dies war der schlimmste Albtraum eines jeden Rektors: der Tod eines seiner Schüler.
Wenn es eine sichere Methode gab, den Ruf einer Schule zu ruinieren, dann diese. Wie genau der Junge gestorben war, spielte dabei fast keine Rolle. Robert Jones stellte sich Horden von Eltern vor, die auf der Suche nach einem geeigneten Internat St Stephen’s von ihrer Liste strichen.
Doch Jones schöpfte Trost aus der mehr als vierhundertjährigen Existenz von St Stephen’s. Bei der Sichtung der Schulaufzeichnungen hatte er festgestellt, dass solche Tragödien schon früher passiert waren. Möglicherweise würde die Zahl der Schüler sich vorübergehend reduzieren, aber im Lauf der Zeit würde das, was vergangenen Freitag geschehen war, in Vergessenheit geraten.
Der letzte Tod eines Schuljungen hatte sich 1979 ereignet. Besagter Junge war tot im Keller aufgefunden worden. Er hatte sich mit einem Strick, den er an einem Haken an der Decke befestigte, erhängt. Dieser Vorfall war mittlerweile Schullegende. Die Kinder erzählten sich gern, dass der Geist des Jungen Fleat House heimsuche.
Der kleine Rory Millar hatte selbst wie ein Gespenst ausgesehen, als man ihn nach einer ganzen Nacht aus dem Keller befreite, gegen dessen Tür er gehämmert hatte.
Charlie Cavendish, zweifellos der Übeltäter, hatte wie üblich alles geleugnet und es – schlimmer noch – sogar amüsant gefunden … Robert Jones schauderte. Er hätte sich gewünscht, über den Verlust seines jungen Lebens trauern zu können, musste jedoch feststellen, dass ihm das nicht gelingen wollte.
Dieser Junge hatte von Anfang an nur Ärger gemacht. Und seines Todes wegen war seine eigene Zukunft als Rektor nun ungewiss. Er war sechsundfünfzig und hatte sich darauf gefreut, in vier Jahren bei vollen Altersbezügen in Pension gehen zu können. Wenn er nun dazu gezwungen wäre, seinen Abschied zu nehmen, konnte er kaum auf eine andere Anstellung irgendwo sonst hoffen.
Bei der Krisensitzung des Schulbeirats am vergangenen Abend hatte er seinen Rücktritt angeboten. Doch der Beirat hatte ihm den Rücken gestärkt.
Cavendishs Tod wa