: Vilém Flusser
: Von der Freiheit des Migranten Einsprüche gegen den Nationalismus
: CEP Europäische Verlagsanstalt
: 9783863935580
: 1
: CHF 8.70
:
: Philosophie, Religion
: German
: 142
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Die Migration ist eine kreative Situation'. Vilém Flussers Kommunikations- und Medienphilosophie, die nicht für Einheit, sondern für Vielfalt, nicht für 'Wiedervereinigung', sondern für vernetzte Streuung plädiert, hat hier ihren Ausgangspunkt. Flusser setzt sich mit Phänomenen des Vertriebenseins, der Migration und des Nationalismus auseinander. Mit ebenso viel Nachdrücklichkeit wie Witz und Scharfsinnigkeit legt Flusser sein Denken dar, dass auf Erfahrungen basiert, die stark in der Biographie des Kommunikationsphilosophen verwurzelt sind. Die mit Migration verbundene Freiheit formuliert Flusser in Verantwortung um. Dazu bedarf es einer neuen Denkart, zu der Vilém Flussers Texte und Schriften anregen.

Vilém Flusser, geboren 1920 in Prag, war Kommunikations- und Medienphilosoph. 1940 floh er vor den Nazis nach London und wanderte nach Brasilien aus. Von 1967 bis 1972 lehrte er als Professor für Kommunikation an der Escola Superior de Cinema in São Paulo. 1972 ging er nach Europa zurück. Auf Einladung von Friedrich Kittler wurde er 1991 als Gastprofessor an die Ruhr-Universität Bochum berufen. Im selben Jahr starb er bei einem Verkehrsunfall nahe der tschechisch-deutschen Grenze.

Wohnung beziehen in der Heimatlosigkeit


Gegen meine Gewohnheit und vom Thema «Heimat und Heimatlosigkeit» gelenkt und verleitet, habe ich diesmal vor, das Geheimnis meiner Heimatlosigkeit ein wenig zu lüften. Ich bin gebürtiger Prager, und meine Ahnen scheinen seit über tausend Jahren in der Goldenen Stadt gewohnt zu haben. Ich bin Jude, und der Satz «Nächstes Jahr in Jerusalem» hat mich seit meiner Kindheit begleitet. Ich war jahrzehntelang an dem Versuch, eine brasilianische Kultur aus dem Gemisch von west- und osteuropäischen, afrikanischen, ostasiatischen und indianischen Kulturemen zu synthetisieren, beteiligt. Ich wohne in einem provenzalischen Dorf und bin ins Gewebe dieser zeitlosen Siedlung einverleibt worden. Ich bin in der deutschen Kultur erzogen worden und beteilige mich an ihr seit einigen Jahren. Kurz, ich bin heimatlos, weil zu zahlreiche Heimaten in mir lagern. Das äußert sich täglich in meiner Arbeit. Ich bin in mindestens vier Sprachen beheimatet und sehe mich aufgefordert und gezwungen, alles Zu-Schreibende wieder zu übersetzen und rückzuübersetzen.

Erschwerend und anfeuernd kommt hinzu, daß ich mich für die Phänomene der zwischenmenschlichen Kommunikation, also für die Lücken zwischen Standorten und für die diese Lücken überspannenden Brücken interessiere. Wahrscheinlich ist dieses Interesse auf mein eigenes Schweben über den Standorten zurückzuführen. Dies zwingt mich und erlaubt mir, das Transzendieren von Heimaten nicht nur konkret zu erleben und zu bearbeiten, sondern auch theoretisch darüber nachzudenken. Der folgende Beitrag soll dieses konkrete Erleben, tägliche Bearbeiten und theoretische Überlegen des Themas «Heimat und Heimatlosigkeit» dokumentieren.

Zuerst will ich, so scharf wie möglich, zwischen «Heimat» und «Wohnung» unterscheiden, wobei ich mir peinlich bewußt bin, mit der deutschen Sprache spielen zu müssen. Das deutsche Wort «Heimat» findet, unter den mir geläufigen Sprachen, nu