DER WEG
IST DAS LIED
Die Königswege in ein improvisiertes Lied
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Kreativität entsteht durch Bewegung,
Zerlegung alter Regeln, durch neue Überlegung.
Fettes Brot
Ich sang kürzlich an einem Liedermacherabend die Textzeile eines Kollegen, der wunderbare Lieder schreibt. Nicht improvisiert, versteht sich. Mein Respekt vor der Arbeit des Komponisten, der währenddessen auch noch neben mir stand, war gross. Leider wusste ich nicht mehr so genau, wann dieser Halbtonschritt (den wir geübt hatten) kommt, und den Text hatte ich auch schon halb vergessen. Mit schweissigen Händen nuschelte ich meine Zeile ins Mikrofon und war froh, als es vorbei war.
Diese Angst vor dem «falschen» Ton, dieser starke Fokus auf den «richtigen» Ton führt viele Menschen zur Überzeugung: «Ich kann nicht singen!»
Wenn Lieder notiert sind, wenn also jemand festgelegt hat, in welcher Höhe und in welchem Zeitverhältnis zum Grundschlag ein Ton platziert werden muss, dann gibt es tatsächlich auch falsche Töne. Solche, die eben nicht dem in der Komposition vorgegebenen Raster entsprechen.
Wenn ihr aber improvisierte Lieder singt, dann gibt es keine falschen Töne.
Die Konsequenzen, die dieser Satz hat, sollte man sich mal überlegen. Ich kann ihn gerne noch einmal wiederholen:
Wenn ihr improvisierte Lieder singt, dann gibt es keine falschen Töne.
Es folgt daraus, dass ihr keine Angst vor dem Ton haben müsst, den ihr jetzt gleich singen werdet. Jeder Ton, den ihr improvisiert, ist richtig, weil ihr behauptet, dass er richtig ist. Wenn ihr mit eurer Gruppe singt, hilft euch diese Grundhaltung. Die Teilnehmenden in einem Workshop mit improvisierten Liedern sollen ins Klingen kommen und nicht ins Grübeln.
Grübeln wir trotzdem mal ein bisschen, gehen einen Schritt zurück und fragen: Was machen wir da eigentlich, wenn wir improvisierte Lieder singen?
Wer nach Literatur oder Beispielen zu musikalischer Improvisation sucht, stösst erst einmal auf ganz andere Themen. Etwa die frei improvisierte Musik oder auch Neue Musik, die sich in erster Linie von gängigen Konventionen lösen und gewissermassen «abheben» möchte. Dann die Improvisation im Jazz, Rock, Blues oder Funk, die vor allem das virtuose Spiel von Solisten über eine bekannte Form kennzeichnet. Als weitere Spielformen findet man die so genannten Stegreif-Chöre, die in einem Gruppenkompositionsprozess Musik im Moment entstehen lassen, oder der Freestyle-Rap, der sich vor allem auf Sprachspiele spezialisiert hat.
Die Art, wie im Improvisationstheater Musik entwickelt wird (und wie sie auch in diesem Buch vermittelt werden soll), ist weder ganz frei, noch zielt sie auf ein möglichst kunstvolles Spiel mit Skalen. Improvisierte Lieder entstehen aus dem Moment und möchten mit Ton und Text musikalisch Geschichten erzählen. Dabei wird zwar auf Strukturen der Popmusik zurückgegriff en, Inhalt und Melodie entstehen aber unmittelbar aus dem Moment. Am nächsten kommt diese Form der Arbeit von Stegreif-Chören, was die Orientierung an populärer Musik betrifft, und dem Freestyle-Rap mit seinem Fokus auf die Sprache und das Reimen.
GENRE
Wenn ich Leuten aus der Improtheater-Szene
von meinem Buchprojekt erzählte, kam oft die
Bemerkung: «Schön wäre es, wenn du etwas zum
Thema Genre machen könntest.» Nun, li