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Krauchenwies, 27. April 1941. «Heute ist der dritte Sonntag, den ich hier bin. Da ist mir’s so richtig trübselig zumute. Selbst wenn ich es ganz und gar objektiv ansehe, muss ich sagen: hier ist es nicht schön.»[1] Unglücklich schreibt die 19-jährige Sophie Scholl ihrer Freundin Lisa Remppis. Sie ärgert sich, dass ihr Plan, dem sechsmonatigen Reichsarbeitsdienst (RAD) zu entgehen, nicht aufgegangen ist. Aus diesem Grund hatte Sophie nach dem Abitur eine Erzieherinnenausbildung absolviert, denn es hieß, wer einen sozialen Beruf erlerne, würde vomRAD befreit. Aber am Ende ist sie doch gemustert worden, und seit dem 6. April lebt sie im Lager Krauchenwies bei Sigmaringen.
Zum ersten Mal in ihrem Leben ist Sophie Scholl für mehr als ein paar Wochen aus dem vertrauten Zuhause in Ulm, aus dem Kreis von Familie und Freunden herausgerissen. Genau das ist der Plan der Nazis. Sie rekrutieren mit Hilfe desRAD nicht nur billige Arbeitskräfte, sondern sie richten auch ihre Propagandamaschine auf junge Erwachsene, die aus der Hitlerjugend herausgewachsen sind. «Dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs oder sieben Monate geschliffen», hatte Adolf Hitler angekündigt.[2]
Sophie Scholl ist 1941 längst eine Gegnerin des NS-Systems. Sie hasst das geistlose Getöse der Politiker ebenso wie die ständige Bevormundung, und sie verabscheut den Krieg, der jetzt schon fast zwei Jahre währt und aus ihrer Sicht nur sinnlose Opfer fordert. In der geschützten Ulmer Nische konnte Sophie den Krieg zwar nicht aus ihren Gedanken ausblenden, zumal ihr Freund Fritz Hartnagel Soldat ist und auch ihr Bruder Hans und eine Reihe von Freunden immer wieder für Monate Kriegsdienst leisten müssen, aber immerhin lebte sie in Ulm unter gleichgesinnten Menschen, die sich für Musik und Literatur interessieren und mit denen sie sich übe