: Ewald Volgger
: Vom Schafott zum Altar Bestattung und Translatio des Märtyrers Franz Jägerstätter
: StudienVerlag
: 9783706560801
: 1
: CHF 19.60
:
: 20. Jahrhundert (bis 1945)
: German
: 172
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ewald Volgger OT, Dr. theol., geboren 1961 in Bruneck/Südtirol, ist Professor für Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie an der Katholischen Privat-Universität Linz und der PTH Brixen. Seit der verantwortlichen Einbindung zur Vorbereitung der feierlichen Seligsprechung von Franz Jägerstätter beschäftigt sich der Autor insbesondere mit liturgischen Fragen der Jägerstätter-Verehrung. Er war an der Neugestaltung der Pfarrkirche in St. Radegund zur Einbringung der Reliquien in den neuen Altar beteiligt und betreute die wissenschaftliche Authentifizierung von Urne und Reliquien des Seligen. Er ist Mitglied des Jägerstätter-Beirates der Diözese Linz und betrieb die Gründung des Jägerstätter-Institutes.

Dieses Buch beleuchtet die Geschichte und Verehrung der sterblichen Überreste Franz Jägerstätters. Es zeichnet den Weg nach von der Erstbestattung in Brandenburg 1943 über die zweite Bestattung an der Kirchenmauer in St. Radegund 1946 bis zur Einbringung der Reliquien in den neuen Altar der Pfarrkirche im Jahr 2016. Die Studie schildert zudem das Bemühen einiger Persönlichkeiten, die dazu beigetragen haben, dass die Bedeutung des Lebenszeugnisses von Franz Jägerstätter nicht verlorenging. Schließlich wird auch die Pfarrkirche von St. Radegund beschrieben, die den Raum für die Entscheidung des Seligen gegen das totalitäre NS-Regime und den ungerechten Krieg darstellt.

Einleitung


1. Religiöse und politische Bedeutungen des Erinnerns


Orte der Erinnerung haben eine besondere Aufgabe und Wirkung. Der neugeschaffene Altar der Pfarrkirche von St. Radegund ist ein solcher Ort. Unterhalb der Altarplatte, in die Mitte des Altaraufbaus, wurde ein kreuzförmiger Glaskörper eingebettet, der die Reliquien (Brandleichenreste) des seligen Märtyrers Franz Jägerstätter birgt und seinen Märtyrertod gegenwärtig hält.2

Am 9. August 1943 wurde Franz Jägerstätter am Schafott in Brandenburg an der Havel hingerichtet; am 11. August wurde seine Leiche verbrannt. Das Todesurteil gegen Franz Jägerstätter am 6. Juli 1943 durch das Militärgericht des NS-Regimes brachte „den Verlust der Wehrwürdigkeit und der bürgerlichen Ehrenrechte“ mit sich.3 Eine Widerstandspersönlichkeit, die sich wie nicht wenige aus Gewissensgründen und religiöser Überzeugung gegen das menschenverachtende Regime des Nationalsozialismus aussprach, sollte vernichtet und die Erinnerung an sie ausgelöscht werden. Der Totalitarismus der NS-Ideologie duldete keine Infragestellung und Opposition. Selbst über den Tod hinaus sollte die anonyme Bestattung der Hingerichteten die Erinnerung unterbinden. Die Anonymbestattung verunmöglichte auch die Grabkultur als eine mögliche Form der Erinnerung. Die Haltung Jägerstätters, seine Wirkung auf Menschen um ihn herum, nicht zuletzt im Gefängnis, bewirkte aber das Gegenteil.

Totalitäres Denken, wie es auch vom NS-Regime unter Hitler in unüberbietbarer Weise praktiziert worden war, anerkennt in seiner Radikalität die Individualität und Würde eines Menschen nicht, nicht einmal jene der selbst totalitären Akteur/innen, es negiert die Menschenrechte, es vernichtet die Tatsache der Existenz eines Menschen. Das Leben eines Menschen ist vollkommen überflüssig, weil es jederzeit ersetzt werden kann. Das unterscheidet es vom Mörder.4 Die Verfolgungen, Verurteilungen, Hinrichtungen und die Konzentrationslager des NS-Regimes dienten in ihrer Radikalität dazu, „Menschen so zu behandeln, als ob es sie nie gegeben hätte, sie im wörtlichsten Sinne verschwinden zu lassen“.5 Dieses Ziel verfolgten die Nationalsozialisten konsequent, wenn sich Menschen, aufgrund welcher Überzeugung auch immer, ihrem System und dessen Absichten entgegenstellten oder dessen Grundlagen hinterfragten. Auch die Hinrichtung Jägerstätters entsprach dieser Absicht.

Hannah Arendt hat umfassend reflektiert, wie totalitäre Regime agieren. Sie erläutert dabei drei Tode, die konsequent aufeinander folgen. Die Vernichtung der juristischen Persönlichkeit durch Hinrichtung oder Konzentrationslagerhaft, in der der Tod sicher folgt, ist ein erstes Ziel der totalitären Verfolgung.6 Ein nächster entscheidender Schritt ist die Ermordung der moralischen Person, wodurch Märtyrertum unmöglich gemacht wird und Trauer und Erinnerung unmittelbar verhindert werden. Sterbenfür etwas sollte seinen Sinn verlieren.7 Und schließlich beabsichtigt das totalitäre Regime auch die Tötung der Spontaneität, damit meint Arendt die Fähigkeit des Menschen, von sich aus etwas Neues zu beginnen, eine Facette der Individualität.8 Auch die Gewissensentscheidung, „besser als Opfer zu sterben, denn als Beamter des Sterbens zu leben“, sollte ihrer Sinnhaftigkeit beraubt werden, indem Anhänger/innen des NS-Regimes „die Entscheidung des Gewissens selbst absolut fragwürdig und zweideutig machten“.9 „Das einzige, was nach der Tötung der moralischen Person noch übrigbleibt, um zu verhindern, dass Menschen lebende Leichname sind, ist die Tatsache der individuellen Differenziertheit, der eigentüml