1.1. Gestatten? Neptun
a. Entstehung, Aufstieg und Verfall
Als Sohn von Kronos/Saturn und Rhea/Ops (je nach griechisch-römischer Bezeichnung) ist Poseidon/Neptun u.a. Bruder von Zeus/Jupiter, Hera/Juno und Demeter/Ceres. Er ist mit ihnen außerdem eine der zwölf olympischen Gottheiten, die eben offiziell auf dem namensgebenden griechischen Berg leben, von denen die bekanntesten Apollon/Apollo, Athene/Minerva, Artemis/Diana, Aphrodite/Venus und Hermes/Merkur sind. Zusammen mit seinen Geschwistern besiegte Poseidon gleich nach der Geburt seinen kannibalischen Vater, später die Titanen (wobei er sich anschließend mit den Brüdern stritt) und die Giganten.
• Cherubino Alberti, nach Polidoro da Caravaggio:Neptun mit Dreizack und Blattwerk (Blitzbündel?), Kupferstich (1570-1615) MMA •
Poseidon und Zeus waren ursprünglich die obersten Götter und weitestgehend gleichberechtigt: Sie teilten sich die Herrschaft über die Oberwelt und waren sonst auch mit ähnlichen Übermächten ausgestattet, z.B. konnten beide Blitze schleudern. Wenn sie gerade nicht mit kosmischen Kämpfen beschäftigt waren, wendeten beide ähnlich fleißig ihre Aufmerksamkeit den Frauen aus allen in ihrer Welt verfügbaren Gattungen: Sterblichen, Unsterblichen, größeren und kleineren Gottheiten, Nymphen usw. (s. Kapitel 1.3.), ohne deswegen schöne Jünglinge ganz außer Acht zu lassen (s. Kapitel 1.3.b.).
• Crispijn van de Passe d.Ä.: Neptun überfällt Kainis (Ausschnitt), Kupferstich (1602-1607) RMA •
Später setzte sich Jupiter als der mächtigster Gott durch und seitdem hat für Neptun ein langsamer, unaufhaltsamer Verfall begonnen, bis er – ähnlich seiner modernen Entsprechung unter den Comics-Superhelden, Aquaman ab den 1980ern – nur ein wenig ernst genommener Nebenspieler wurde. Diese Dekadenz kann u.a. am sagenumwobenen Autor Homer (8.-7. Jh. v. Chr.) festgemacht werden, da Poseidon sowohl in seinerIlias (dem Epos zum trojanischen Krieg) als auch in derOdyssee (s. für beides Kapitel 1.2.b.) als übellauniger und überempfindlicher Gott dargestellt wird, der bei gefühlter Majestätsbeleidigung impulsiv mit Meeresstürmen, Tsunamis, Erdbeben u.ä. Naturkatastrophen reagiert und also im Wesentlichen als Störfaktor, wenn nicht ganz als Bösewicht, fungiert. Seine Interaktion mit Geschwistern, sonstigen göttlichen Verwandten und normalen Sterblichen reduziert sich seitdem auf die melodramatischen Extremen von gnadenlosen Fehden und unbekümmerten Schäferstunden.
b. Szepter und Waffe: der Dreizack
Kaum wird er geboren, schon schwingt er den Dreizack: Neptuns markantestes Attribut ist vom Anfang an mit ihm dabei und erweist sich sofort als unentbehrlich. So sehr die überlieferten Versionen der Rettung Poseidons vor seinem kinderfressenden Vater auseinandergehen (s. Kapitel 1.2.b.), waren sich mehrere antike Autoren darüber einig, dass der Kleine ohne zu zögern sein traditionelles Accessoire dafür benutzt habe, um mit Hilfe seines Bruders Zeus und dessen Blitzen den grausamen Kronos unschädlich zu machen.
• Anonym (italienisch?): Neptun, Bronze (16. Jh.) MMA •
Bei allen variablen Darstellungsweisen von Neptun bleibt der Dreizack eine Konstante, anhand derer man den Gott in jedem Fall mit Sicherheit identifizieren kann. Zu seiner Ikonographie gehören nämlich sonst Elemente, die nicht überall gleich vorkommen: Sein Streitwagen ist z.B. ein nicht immer vorhandener und – wenn doch – extrem wandelbarer Wassermobil mit beliebig kombinierbarem Unterbau und vollaustauschbarem Antrieb (s. Kapitel 1.2.). Abgesehen von solchen Versatzstücken wie seinem Schlitten und den entsprechenden Z