: Donatella Chiancone-Schneider
: Neptun und die Meerjungfrauen in der Kunst Muskeln und Flossen von der Antike bis heute
: Books on Demand
: 9783751902984
: 1
: CHF 4.80
:
: Kunstgeschichte
: German
: 87
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Unterwasserwelt des Meeresgottes erstrahlt in prächtigen Kunstobjekten und kostbaren Manufakten von der Antike bis zur Moderne. Zur marinen Umgebung des bärtigen Seekönigs gehören Meerjungfrauen, Tritonen und Pferde mit Fischschwanz. Mit seinem gefürchteten Dreizack entfesselt Neptun übermenschliche Kräfte gegen seine Rivalen, seine unermessliche Liebe gilt Göttinnen und sterblichen Frauen. Wir tauchen in den griechisch-römischen Mythos ein und lernen den antiken und zeitlosen König der Sieben Meere sowie seine Freunde und Feinde kennen, und zwar anhand von über 100 kommentierten Arbeiten der Kunst und des Kunsthandwerks von der Antike bis zur Jahrhundertwende. Sieben knackige Kapitel illustrieren verschiedene, darunter viele ungeahnte Aspekte von Neptun und den Meerjungfrauen und können dank Querverweise in beliebiger Reihenfolge nachgeschlagen werden. Eine kurzweilige, erstaunliche und an vielen Stellen lustige Reise, bei der nebenbei viele Begriffe der Kunstgeschichte vertraut werden. Trotz ihres spielerischen Charakters und ihrer einfachen Sprache eignet sich diese Publikation allerdings nicht immer für Kinder. Eine erweiterte Neuflage mit noch mehr Abbildungen ist geplant. Projektseite www.kunstco.de/aquaman-neptun html

Dr. Donatella Chiancone-Schneider ist promovierte Kunsthistorikerin, freie Kuratorin und populärwissenschaftliche Kunstvermittlerin. In multimedialen, oft interdisziplinären Kursen, Vorträgen, Publikationen, Ausstellungen und selbst organisierten Festivals erklärt sie breitgefächerte, auch anspruchsvollere kunsthistorische Themen zeitgemäß und unterhaltsam. Ihre Vortragstourneen der letzten Jahre haben sie bereits in unzählige Städte bundesweit sowie nach Italien, Österreich, Polen, Dänemark und in die Schweiz geführt. Seit 2020 ist sie zusätzlich mit ortsübergreifenden Webinaren u.a. Online-Formaten unterwegs. Website https://www.donatella.chianco e.eu Projektportal https://www.kunstco.de

1.1. Gestatten? Neptun


a. Entstehung, Aufstieg und Verfall


Als Sohn von Kronos/Saturn und Rhea/Ops (je nach griechisch-römischer Bezeichnung) ist Poseidon/Neptun u.a. Bruder von Zeus/Jupiter, Hera/Juno und Demeter/Ceres. Er ist mit ihnen außerdem eine der zwölf olympischen Gottheiten, die eben offiziell auf dem namensgebenden griechischen Berg leben, von denen die bekanntesten  Apollon/Apollo, Athene/Minerva, Artemis/Diana, Aphrodite/Venus und Hermes/Merkur sind. Zusammen mit seinen Geschwistern besiegte Poseidon gleich nach der Geburt seinen kannibalischen Vater, später die Titanen (wobei er sich anschließend mit den Brüdern stritt) und die Giganten.


• Cherubino Alberti, nach Polidoro da Caravaggio:Neptun mit Dreizack und Blattwerk (Blitzbündel?), Kupferstich (1570-1615) MMA •


Poseidon und Zeus waren ursprünglich die obersten Götter und weitestgehend gleichberechtigt: Sie teilten sich die Herrschaft über die Oberwelt und waren sonst auch mit ähnlichen Übermächten ausgestattet, z.B. konnten beide Blitze schleudern. Wenn sie gerade nicht mit kosmischen Kämpfen beschäftigt waren, wendeten beide ähnlich fleißig ihre Aufmerksamkeit den Frauen aus allen in ihrer Welt verfügbaren Gattungen: Sterblichen, Unsterblichen, größeren und kleineren Gottheiten, Nymphen usw. (s. Kapitel 1.3.), ohne deswegen schöne Jünglinge ganz außer Acht zu lassen (s. Kapitel 1.3.b.).


• Crispijn van de Passe d.Ä.: Neptun überfällt Kainis (Ausschnitt), Kupferstich (1602-1607) RMA •


Später setzte sich Jupiter als der mächtigster Gott durch und seitdem hat für Neptun ein langsamer, unaufhaltsamer Verfall begonnen, bis er – ähnlich seiner modernen Entsprechung unter den Comics-Superhelden, Aquaman ab den 1980ern – nur ein wenig ernst genommener Nebenspieler wurde. Diese Dekadenz kann u.a. am sagenumwobenen Autor Homer (8.-7. Jh. v. Chr.) festgemacht werden, da Poseidon sowohl in seinerIlias (dem Epos zum trojanischen Krieg) als auch in derOdyssee (s. für beides Kapitel 1.2.b.) als übellauniger und überempfindlicher Gott dargestellt wird, der bei gefühlter Majestätsbeleidigung impulsiv mit Meeresstürmen, Tsunamis, Erdbeben u.ä. Naturkatastrophen reagiert und also im Wesentlichen als Störfaktor, wenn nicht ganz als Bösewicht, fungiert. Seine Interaktion mit Geschwistern, sonstigen göttlichen Verwandten und normalen Sterblichen reduziert sich seitdem auf die melodramatischen Extremen von gnadenlosen Fehden und unbekümmerten Schäferstunden.

b. Szepter und Waffe: der Dreizack


Kaum wird er geboren, schon schwingt er den Dreizack: Neptuns markantestes Attribut ist vom Anfang an mit ihm dabei und erweist sich sofort als unentbehrlich. So sehr die überlieferten Versionen der Rettung Poseidons vor seinem kinderfressenden Vater auseinandergehen (s. Kapitel 1.2.b.), waren sich mehrere antike Autoren darüber einig, dass der Kleine ohne zu zögern sein traditionelles Accessoire dafür benutzt habe, um mit Hilfe seines Bruders Zeus und dessen Blitzen den grausamen Kronos unschädlich zu machen.


• Anonym (italienisch?): NeptunBronze (16. Jh.) MMA •


Bei allen variablen Darstellungsweisen von Neptun bleibt der Dreizack eine Konstante, anhand derer man den Gott in jedem Fall mit Sicherheit identifizieren kann. Zu seiner Ikonographie gehören nämlich sonst Elemente, die nicht überall gleich vorkommen: Sein Streitwagen ist z.B. ein nicht immer vorhandener und – wenn doch – extrem wandelbarer Wassermobil mit beliebig kombinierbarem Unterbau und vollaustauschbarem Antrieb (s. Kapitel 1.2.). Abgesehen von solchen Versatzstücken wie seinem Schlitten und den entsprechenden Z