Perseus
Der Goldregen
DaAKRISIOS, der Herrscher von Argos,1 keinen männlichen Erben für sein Königreich gezeugt hatte, suchte er beim Orakel von Delphi Rat, wann und wie er auf einen solchen hoffen könne. Die Antwort der Priesterin war verstörend.
König Akrisios wird keine Söhne haben, aber sein Enkel wird ihn töten.
Akrisios liebte sein einziges Kind, seine TochterDANAË, doch sein eigenes Leben liebte er mehr. Nach dem Orakelspruch war ihm klar, dass er alles in seiner Macht Stehende tun musste, um jedweden zeugungsfähigen Mann von ihr fernzuhalten. Also befahl er den Bau einer Kammer aus Bronze unterhalb des Palasts. Eingeschlossen in dieses glänzende, unbezwingbare Gefängnis, stellte man Danaë so viel Luxus und weibliche Gesellschaft zur Verfügung, wie sie nur wollte. Schließlich war er, so redete Akrisios sich ein, keinesfalls hartherzig.2
Er hatte die bronzene Kammer gegen jeden Eindringling versiegelt, aber nicht mit den Lüsten und Listen des Zeus gerechnet, dessen Blick auf Danaë gefallen war und der nun darüber nachdachte, wie er in die versiegelte Kammer eindringen und sich ein wenig Vergnügen verschaffen konnte. Ihm gefiel die Herausforderung. Im Zuge seiner amourösen Karriere hatte der König der Götter sich auf der Jagd nach begehrenswerten Frauen und manchmal auch Männern schon in alle möglichen exotischen Wesen verwandelt. Um Danaë zu erobern, das war ihm klar, musste er sich etwas Besseres einfallen lassen als die üblichen Stiere, Eber, Hengste, Adler, Hirsche und Löwen. Irgendetwas Überkandideltes war vonnöten …
Durch die schmalen Lichtschlitze im Dach der Kammer strömte eines Nachts ein Goldregen herein, ergoss sich in Danaës Schoß und penetrierte sie.3 Es mag eine unorthodoxe Form der geschlechtlichen Vereinigung gewesen sein, aber Danaë wurde schwanger und brachte mithilfe ihrer ergebenen Dienerinnen einen gesunden Jungen zur Welt, den siePERSEUS nannte.
Die sterbliche Robustheit von Perseus wurde von äußerst tauglichen Lungen begleitet, und sosehr sie es auch versuchten, schafften es weder Danaë noch ihre Dienerinnen, die Schreie des Babys zu dämpfen. Diese bahnten sich ihren Weg durch die Bronzemauern des Gefängnisses und über zwei Stockwerke hinweg nach oben bis in die Ohren ihres Vaters.
Seine Wut, als er des Enkelsohns ansichtig wurde, war schrecklich.
»Wer hat es gewagt, in dein Verlies einzubrechen? Nenn mir den Namen und ich werde ihn kastrieren lassen, foltern und mit seinen eigenen Innereien erwürgen.«
»Vater, ich glaube es war der Himmelskönig selbst, der zu mir kam.«
»Du willst mir sagen – könnte jemand bitte dieses Baby zur Ruhe bringen! –, dass es Zeus war?«
»Vater, ich kann nicht lügen, er war es.«
»Ganz bestimmt. Es war der Bruder von einer deiner verdammten Dienerinnen, nicht wahr?«
»Nein Vater, es war, wie ich gesagt habe. Zeus.«
»Wenn dieser Balg nicht aufhört zu brüllen, ersticke ich ihn mit diesem Kissen.«
»Er hat einfach nur Hunger«, sagte Danaë und legte Perseus an ihre Brust.
Akrisios dachte scharf nach.