: Birgit Aschmann
: Durchbruch der Moderne? Neue Perspektiven auf das 19. Jahrhundert
: Campus Verlag
: 9783593441924
: 1
: CHF 26.20
:
: Neuzeit bis 1918
: German
: 334
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Die Suche nach den Ursprüngen der »modernen Welt« führt immer wieder ins 19. Jahrhundert zurück. Doch was ist das Besondere an diesem »Schlüsseljahrhundert«? Inwiefern brauchen wir es, um unsere Gegenwart zu verstehen? Gibt es Parallelen zwischen dem 19. Jahrhundert und der Welt des 21. Jahrhunderts? Renommierte Historikerinnen und Historiker nehmen die Zeit zwischen 1789 und 1914 in diesem Buch neu in den Blick und loten anhand unterschiedlicher Themen und Methoden das Spezifische des 19. Jahrhunderts aus: die Rolle von Revolutionen und Emotionen, von städtischen Konflikten, von Monarchie und Liberalismus, von Religion und Attentaten, von Geschlechterverhältnissen und globalhistorischen Zusammenhängen.

Birgit Aschmann ist Professorin für Europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts an der Humboldt-Universität zu Berlin.
»Das Säkulum der Widersprüche«: Das 19. Jahrhundert und der Durchbruch der Moderne? Eine Einleitung Birgit Aschmann Wenn ein Buch über das 19. Jahrhundert den Titel Durchbruch der Moderne trägt, aber auf dem Einband eine von Caspar David Friedrich gemalte Dorfidylle zeigt - ist das nicht ein irritierender Widerspruch, eine Paradoxie? Doch, genau das ist es, und - damit sei ein Ergebnis des Bandes vorweggenommen - genau das macht das 19. Jahrhundert aus. Um den Reiz dieses an Widersprüchen reichen Jahrhunderts wahrzunehmen, muss man es neu in den Blick nehmen. Das war das Anliegen einer Ringvorlesung, die im Sommersemester 2018 an der Humboldt-Universität zu Berlin stattfand und deren Beiträge dieser Band dokumentiert. Die Zeit für eine Neubetrachtung ist günstig, schließlich ist das Jahrhundert wieder im Gespräch. Dabei ist es nur wenige Jahre her, dass die Experten ratlos vor einem wachsenden Desinteresse standen. Das 19. Jahrhundert schien so verstaubt, dass es - wie Suzanne Marchand 2002 schrieb - nachgerade »peinlich« wirkte, sich damit »hauptberuflich« auseinanderzusetzen. Aus ihrer Erfahrung in Princeton berichtete sie, dass sich seit den 1990er Jahren der Forschungstrend vom europäischen 19. Jahrhundert wegbewegt habe: »Some things are interesting, and others not. And what was definitely not interesting any more was nineteenth-century Europe.« Ihr Eindruck wurde auf beiden Seiten des Atlantiks geteilt. Paul Nolte veröffentlichte 2006 unter dem Titel »Abschied vom 19. Jahrhundert« einen vielbeachteten Aufsatz, dessen Ziel es war, die historiographische Krise zu erklären. Festgemacht wurde diese Krise immer wieder an dem signifikanten Rückgang von Qualifikationsschriften, Aufsätzen oder Konferenzbeiträgen, die dem 19. Jahrhundert gewidmet waren. Diese quantitative Evidenz ist nicht zu leugnen und bedarf einer Erklärung. Ursächlich war dafür wohl nicht zuletzt ein Zusammenspiel allgemeiner, methodischer und spezifisch nationaler Faktoren, die gemeinhin den Verlauf historiographischer Konjunkturen prägen. Dabei spielte zunächst der einfache Umstand eine zentrale Rolle, dass die Zeit voranschritt und damit das 19. Jahrhundert und die Gegenwart rein zeitlich immer weiter auseinandertraten. Oberflächlich betrachtet scheinen beide Zeiträume immer weniger miteinander zu tun haben. Die Interessen junger WissenschaftlerInnen wandten sich daher bevorzugt anderen Zeiträumen zu, zumal die Zeitgeschichte attraktive Alternativen bot. Diese Entwicklung wurde in Deutschland zusätzlich dadurch forciert, dass seit 1990 mit der Öffnung der DDR-Archive historiographisches Neuland von unbestrittener Gegenwartsrelevanz erschlossen werden konnte. Nicht nur die stetig wachsenden Bestände zur Geschichte der Bundesrepublik, sondern auch die zur DDR-Geschichte wurden so zur privilegierten Anlaufstelle vor allem von angehenden HistorikerInnen der späten Neuzeit, die sich nicht mit dem Nationalsozialismus beschäftigen wollten. Eine Beschäftigung mit dem 19. Jahrhundert wurde dagegen umso lässlicher, als es zur Erklärung der Genese des Nationalsozialismus entbehrlich schien. Auch im postnationalen Zeitalter spielen bei der Wahl von Forschungsthemen nationale Pfade eine Rolle: Favorisierte Themen stehen in einem - zuweilen komplexen - Zusammenhang mit gegenwartsbezogenen nationalen Selbstverständigungsprozessen. So ist der französische Blick auf das 19. Jahrhundert von einer spezifischen Revolutionswahrnehmung geprägt, und die britische Historiographie genießt dauerhaft den Rückenwind nationalen Stolzes, handelte es sich beim 19. Jahrhundert doch um das Säkulum, in dem Macht und Einfluss Großbritanniens ihren Zenit erreichten. Die deutsche Historiographie war nach 1945 bemüht, mit der Erforschung des 19. Jahrhunderts die nationalsozialistische Diktatur und den Völkermord des 20. Jahrhunderts zu erklären. So wurde das Interesse deutscher HistorikerInnen vor allem von der Frage geleitet, inwiefern die Strukturen des 19. Jahrhunderts unweigerlich in den Nationalsozialismus mündeten. Als jedoch die These vom deutschen Sonderweg erodierte und es immer weniger überzeugend schien, die Ursachen des Nationalsozialismus in den Deformationen des deutschen Bürgertums zu suchen, brach auch das Interesse am 19. Jahrhundert ein. »Vergessen« war es schon deshalb nicht, weil die Schriften, die im Zuge der Forschungsverbünde über das Bürgertum entstanden waren, inzwischen ganze Regale füllten. Das 19. Jahrhundert erschien weniger »vergessen« als vielmehr »abgegrast«. Dass angesichts des enormen Ausstoßes an Publikationen in den 1980er und 1990er Jahren die Zahl der Veröffentlichungen in den darauffolgenden Jahren zurückging, kann niemanden wirklich verwundern.
Inhalt6
»Das Säkulum der Widersprüche«: Das 19. Jahrhundert und der Durchbruch der Moderne? Eine Einleitung – Birgit Aschmann8
Auftakt zum 19. Jahrhundert: Die Neuordnung der Welt im Zeitalter Napoleons – Ute Planert30
Das 19. Jahrhundert als monarchisches Jahrhundert – Monika Wienfort57
»Das Zeitalter des Gefühls«? Zur Relevanz von Emotionen im 19. Jahrhundert – Birgit Aschmann84
Terroristische Attentate und Politik im 19. Jahrhundert – Heinz-Gerhard Haupt und Daniel Schönpflug120
Kulturkämpfer, Wundergläubige und Atheisten: Das lange 19. Jahrhundert und die Erfindung des Säkularen – Rebekka Habermas148
Geschlecht strukturiert die Welt: Die Bedeutung des 19. Jahrhunderts für die Permanenz der Geschlechterhierarchie – Angelika Schaser172
»Bürgerliche« Revolutionen nach dem Bürgertumsboom: Was bleibt von den Revolutionstheorien zum 19. Jahrhundert? – Andreas Fahrmeir200
Politisches Gehäuse und ideologische Sprache des Fortschritts: Verfassung,Verfassungsstaat und Liberalismus im 19. Jahrhunder – tJörn Leonhard219
Die Stadt des 19. Jahrhunderts: Heterogenität, Modernität, Konflikt – Friedrich Lenger253
Ungleichzeitigkeit, Mobilität und die Transformation von Arbeit: Globalhistorische Perspektiven auf das 19. Jahrhundert – Andreas Eckert272
Lokale Moderne und Globalität: Barodaunter Sayaji Rao III. 1880–1920 – Ulrike von Hirschhausen294
Das europäische 19. Jahrhundert in globaler Perspektive: Versuch einer historischen Ortsbestimmung – Dieter Langewiesche311
Autorinnen und Autoren330