1 Vor dem Brand
Bedingt durch grundlegend falsche Weichenstellungen nach dem Ersten Weltkrieg rollte der Zug der Weimarer Republik, weiterhin »Deutsches Reich« genannt, im Winter 1932/1933 endgültig auf ein totes Gleis. In den rund 14 Jahren ihrer Existenz gaben sich zwölf Reichskanzler, die 20 verschiedenen Kabinetten vorsaßen, die Tür der Reichskanzlei in die Hand. Kaum ein Kabinett hielt länger als ein halbes Jahr.
Der Weimarer Staat wurde, so der Historiker Golo Mann, »von Leuten regiert, die ihn nie gewünscht hatten, die nicht an ihn glaubten und auch wenn sie wohl oder übel im Sattel saßen, nach anderen, vielleicht doch besseren Pferden hinüberschielten.«
Der 13. Reichskanzler der Weimarer Republik hieß Adolf Hitler. Der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte ihn am 30. Januar 1933 ernannt. Die entscheidende Person, die im Hintergrund die Strippen zog und das Umfeld Hindenburgs für seinen Plan gewann, Hitler zum Reichskanzler zu machen, war Franz von Papen. Er fungierte als Vizekanzler und sah sich als den eigentlichen Machthaber. Auf die Frage, ob es nicht gefährlich sei, einen Mann wie Hitler zum Reichskanzler zu machen, antwortete von Papen: »Sie irren sich, wir haben ihn uns engagiert!«
Die Deutschnationale Volkspartei und der ihr nahestehende »Stahlhelm«, eine antidemokratische und antisemitische paramilitärische Organisation ehemaliger Frontsoldaten1, stellten das Gros der Minister, obwohl sie bei der letzten Wahl im November 1932 einen viel geringeren Stimmenanteil als dieNSDAP erhalten hatten. Viel wichtiger als die Mehrheit der Posten am Kabinettstisch waren für Hitler jedoch Macht und Titel des Reichskanzlers und die Kontrolle über sämtliche staatliche Waffengewalt im Lande. Hitler gab sich bescheiden: nur drei Ministerposten für ihn – aber die hatten es in sich: Zum Innenminister Wilhelm Frick gesellten sich der Minister ohne Geschäftsbereich, kommissarischer Innenminister Preußens und Reichstagspräsident – somit Bewohner des an den Reichstag angrenzenden Reichstagspräsidentenpalais – Hermann Göring sowie der Wehrminister General Werner von Blomberg, damals noch parteilos, der erst 1937 in dieNSDAP eintrat, aber schon 1933 ein enger Vertrauter Hitlers war.
Der neue Reichskanzler konzentrierte sich auf die wesentlichen Bereiche, auf die es ankommt, wenn man einen Staat unter seine Kontrolle bekommen will. Sogenannte Schlüsselressorts wie Auswärtiges Amt, Finanzministerium, Justiz, Arbeit oder Wirtschaft überließ er dagegen dem deutsch- nationalen Koalitionspartner. Die Taktik war auch insofern genial, weil sie alle Skeptiker beruhigte; der Wolf hatte sich den sprichwörtlichen Schafspelz umgehängt, um das Etappenziel »Reichskanzlei« zu erreichen. Obwohl Hitler gar keinen Hehl daraus machte, dass er die Macht niemals wieder aus den Händen geben würde. In seinem Tagebuch nannte Goebbels die deutschnationalen Minister in Hitlers Kabinett einen »Schönheitsfehler«, der »ausradiert« werden musste.
»Kaum hatte Hitler seinen Amtseid auf die Verfassung abgelegt, ging er daran, sie zu zerstören«, schreibt Allan Bullock in seiner Hitler/Stalin-DoppelbiografieParallele Leben. Sofort nach der Vereidigung des Hitler-Kabinetts am 30. Januar 1933 verbot Göring eine Kundgebung der Kommunistischen Partei, die sich gegen die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler richtete.
In den ersten vier Wochen Hitlers als Reichskanzler geschahen ununterbrochen mit einem Rechtsstaat nicht zu vereinbarende Dinge, darunter mehrere Notverordnungen. In einer dieser Verordnungen, datiert vom 28. Februar 1933, aber schon tags zuvor beschlossen, wird für Landesverrat und den Verrat militärischer Geheimnisse die Todesstrafe angedroht. Ferner war die »Verbreitung staatsgefährlicher Nachrichten