: Alex Capus
: Das Leben ist gut Roman
: Carl Hanser Verlag München
: 9783446254091
: 1
: CHF 9.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Max ist seit fünfundzwanzig Jahren mit Tina verheiratet, sie ist die Liebe seines Lebens. Er betreibt eine kleine Bar, tagsüber bringt er das Altglas weg, repariert das Mobiliar - oder begibt sich auf die Suche nach einem ausgestopften Stierkopf, der unbedingt über dem Tresen hängen soll. Max liebt sein Leben, so wie es ist, seine Familie, seine Freunde. Das wird ihm einmal mehr bewusst, als Tina zum ersten Mal in ihrer gemeinsamen Ehe beruflich ohne ihn unterwegs ist. 'Das Leben ist gut' verteidigt mit scharfem und versöhnlichen Blick, das, was im Alltag schnell übersehen wird. Es ist ein Roman über das Menschsein - vor allem aber eine Hymne an die Liebe.

Alex Capus, geboren 1961 in der Normandie, lebt heute in Olten. Er schreibt Romane, Kurzgeschichten und Reportagen. Für sein literarisches Schaffen wurde er u.a. mit dem Solothurner Kunstpreis 2020 ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen Léon und Louise (Roman, 2011), Fast ein bisschen Frühling (Roman, 2012), Skidoo (Meine Reise durch die Geisterstädte des Wilden Westens, 2012), Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer (Roman, 2013), Mein Nachbar Urs (Geschichten aus der Kleinstadt, 2014), Seiltänzer (Hanser Box, 2015), Reisen im Licht der Sterne (Roman, 2015), Das Leben ist gut (Roman, 2016), Königskinder (Roman, 2018) und Susanna (Roman, 2022).

AM NÄCHSTEN MORGEN zwitschern in der Birke vor meinem Haus die Meisen, hinter der Dampfwolke des Atomkraftwerks geht die Sonne auf. Ein schöner und heißer Tag kündigt sich an. Die Frau ist schon weg. Sie hat mich vor dem Haus umarmt und auf den Hals geküsst, dann ist sie um die Straßenecke verschwunden mit wehendem Haar und freudig wackelndem Hintern.

Ich trinke meinen Frühstückskaffee auf der Terrasse und lese Zeitung. Inzwischen sind auch meine drei Söhne aufgestanden. Es gibt Gepolter im Obergeschoss, dann rauschen Wasserleitungen und ziehen Düfte von Duschgels, Deodorants und Rasierwassern durchs Haus. Ich werde sie wieder mal daran erinnern müssen, dass billige Rasierwasser immer schlecht sind und gute immer teuer.

Als Erster taucht der Erstgeborene auf der Terrasse auf. Er fragt: »Ist Mama schon weg?«

Dann kommt der Jüngste. Er schaut sich suchend um. »Wo ist Mama?«

Und zuletzt der Mittlere: »Ist Mama noch da?«

Jetzt sitzen sie frisch geduscht hinter ihren Cornflakes und fingern an ihren Handys. Vertraut und doch scheu sitzen wir beieinander, meine Söhne und ich. Sohnesscheu und vatersscheu. Gleich werden auch sie aus dem Haus gehen. Bald werden sie »Tschüss, Papa, danke schön« sagen und für immer aus dem Haus gehen. Aber heute gehen sie nur für ein paar Stunden fort. Heute Abend werden sie alle wieder zu Hause sein.

Ich begleite noch immer jeden einzeln zur Tür, wenn er morgens mit seiner Schultasche aus dem Haus geht. Vielleicht sollte ich damit aufhören. Beim Jüngsten, der erst dreizehn ist, darf ich das wohl noch eine Weile tun. Wenn ich hinter meiner Zeitung nicht bemerke, dass er zum Aufbruch bereit ist, sucht er meinen Blick und sagt »Okay, ich gehe dann mal«. Dann stehe ich auf und gehe mit ihm hinaus. Draußen im Vorgarten bittet er mich um Geld fürs Mittagessen. Ich gebe ihm welches. Dann schaut er mich seelenvoll an mit seinen bernsteinfarbenen Augen und sagt: »Ach, Papa, warum nur haben wir keinen Hund?«

Jetzt ist das Haus leer. Als ob nichts geschehen wäre – es ist ja auch nichts geschehen –, spüle ich das Frühstücksgeschirr, steige aufs Rad und fahre durch den morgendlichen Stoßverkehr in die Sevilla Bar. Meine Arbeitswoche beginnt damit, dass ich das Altglas vom Wochenende zur Sammelstelle bringe. Dann kontrolliere ich den Warenbestand im Getränkelager, rufe die Brauerei und den Weinhändler an und gebe meine Bestellungen durch. Ich fülle die Kühlschubladen am Tresen auf, bezahle Rechnungen und laufe zur Post, um Kleingeld für die Kasse zu besorgen. Nachmittags befasse ich mich mit Wartungsarbeiten. Ich flicke einen aus dem Leim gegangenen Stuhl oder befestige eine neue Wandhalterung für die Billardqueues. Ich male auf der Damentoilette die Decke zartrosa an, weil die Damen sich das so gewünscht haben. Oder ich fahre zum Flohmarkt, weil ich ein Sofa für die Zeitschriftenecke brauche. Um siebzehn Uhr schiebe ich dann das Rollgitter hoch, nehme hinter dem Tresen Aufstellung und bediene die Gäste bis zur Polizeistunde um halb eins. Heute wird es ein ruhiger Sommerabend werden. Viele Stammgäste sind in den Ferien, und meine Barkeeper sind alle weggefahren. Diese Woche bin ich allein zuständig. Zum Glück ist die Putzequipe noch da, die