Die Tretmühle
von Cherie Priest
Teil 1
Leo klemmte sich das Telefon zwischen Schulter und Ohr, rieb sich die Augen und stöhnte. Dabei brummte er: »Mein Gott, nichtnoch eine.«
»Noch eine was?«, fragte die Frau am anderen Ende der Leitung. Da er nicht schnell genug antwortete, musste sie erneut fragen: »Noch einewas, Dad?«
»Noch eine Flitzerin. Tinkerbill bringt sie gerade rein.«
Die fragliche Person war unbekleidet, hübsch, blond und in den Zwanzigern. Dazu hatte sie einen funkelnden pinkfarbenen Glorienschein, den man allerdings nicht als Kleidung durchgehen lassen konnte, zumal das Glitzern Bill Chens Beitrag war und bis zum nächsten Morgen wieder erloschen wäre. Wahrscheinlich.
Leo hielt den Hörer vom Mund weg und rief: »Kann jemand der Kleinen mal ein T-Shirt oder so was bringen?«
Blind griff Bill nach einer Polizeijacke, die an der Garderobe hing, während er die sich wehrende Gefangene zur erkennungsdienstlichen Behandlung bugsierte. Er warf sie ihr über die Schulter, doch sie wandte sich so heftig zu ihm um, dass sie sie fast wieder abschüttelte. »Sie machen einen Fehler!«, erklärte sie ihm. »Ich … ich hab nicht einfach meine Schlüssel geschnappt und bin so aus dem Haus gerannt, das müsst ihr mir glauben!«
»Ich glaube Ihnen«, sagte Bill unbeeindruckt und mit seiner seltsamen kindlichen Stimme. Aus einem Mann seiner Größe und Gestalt – knapp zwei Meter von der Mütze zu den Zehen und so breit wie das Tor einer Feuerwache – sollte eigentlich keine solche Stimme herauskommen. Er schüttelte erst seine kräftigen Schultern, dann den Kopf und schob die noch immer so gut wie nackte Frau barfuß durch die dreckigen Flure des fünften Reviers.
Man nannte es nicht umsonst »Fort Freak«.
»Dad?«
Leo richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Telefonat. »Melanie, tut mir leid, Liebes. Du hast mich hier bei der Arbeit erwischt. Du weißt ja, wie es ist.«
»Oh, verstehe. Wie könnte mein Überredungsversuch auch je wichtiger sein als ein Zimmer voller nackter Leute?«
»Nur eine. Eine nackte Person.«
»Pass mal auf, Dad. Hör auf, das aufzuschieben.«
»Aber was, wenn ich nicht umziehen will nach …« Er kramte auf dem Schreibtisch herum nach der Broschüre, die sie ihm vor einer Woche hatte zukommen lassen. Er fand sie unter drei oder vier Stapeln eingegangener Berichte, Gerichtsakten, Aktennotizen und Erinnerungen. Die umgestürzten Stapel begruben alles andere unter sich, sogar das Namensschild:DETECTIVE-INVESTIGATOR, 1STGRADE:LEONARDSTORGMAN.
Seine Tochter half seinem Gedächtnis ungeduldig auf die Sprünge. »Nach West Palm Beach.«
»Ja, Florida.« Nachdem er die knallbunte Broschüre endlich in den Fingern hatte, überflog er die Zusammenfassung in Werbesloganform:Erste Wohn- und Baugemeinschaft exklusiv für Joker! Er seufzte. »Ich weiß, dass du viel gearbeitet hast, um das auf die Beine zu stellen, aber ich glaube, ich bin