Ein Tag im Leben
Eigentlich hätte der 9. Januar 2014 der Tag der Tage sein sollen, ein Donnerstag. Donnerstags erscheint dieZeit. Aber wenn etwas Weltbewegendes drinsteht, was nicht länger zurückgehalten werden kann oder soll, bringen sie schon am Tag vorher eine Meldung. Und wenn die Meldung erst mal draußen ist, ist die Geschichte auch draußen, wenigstens das Thema der Geschichte ist dann in der Welt. Und das Thema dieser Geschichte war ich. So wurde der Tag der Tage um einen Tag vorgezogen, auf Mittwoch, den 8. Januar 2014.
Ich saß in meiner Wohnung in München-Haidhausen, Wörthstraße, und wenn ich heute noch mal das Gefühl von damals in mir wecke, fällt mir die Spannung des Augenblicks ein, die Neugier auf das, was passieren würde. Da war Unterschiedliches, auch Gegensätzliches – so ist es, wenn man sich auf einen point of no return zubewegt. Ein Moment der Extreme: Maximale Anspannung einerseits, aber andererseits auch maximale Erleichterung, dass ich so weit gekommen war. Es war ein langer Weg bis hierhin gewesen, ich war zwischendurch gestrauchelt, ich hatte mich verlaufen. Ich war verletzt gewesen, angeschlagen, nicht nur körperlich. Ich war manchmal nicht richtig weitergekommen. Ich hätte aufgeben können. Ich hätte mich verirren können, auch die Gefahr hatte immer wieder bestanden, in den Jahren davor.
Ein Tag im Leben. So lange hatte ich ihn gedanklich umkreist, zeitweise hatte ich ihn gefürchtet, irgendwann hatte ich ihn dann herbeigesehnt, um mich endlich vom Druck der Erwartung zu befreien. Ich musste sprechen. Keine Ahnung, ob die Leute da draußen mich überhaupt hören wollten – die standen noch komplett unter dem Eindruck des Unfalls von Michael Schumacher, der eine Woche zuvor beim Skifahren so schwer verunglückt war, seitdem lag er im Koma. Keine Ahnung, ob meine Geschichte wirklich so weltbewegend sein und die Vorabmeldung in derZeit rechtfertigen würde.
Aber ich wollte jetzt sprechen. Und ich konnte jetzt sprechen.
Ich hatte – auch das gehört zur Geschichte dieses Tages – gelernt, dass ich vorbereitet sein muss, damit die Wucht der Ereignisse mich nicht überrollt. Mich nicht und meine Familie nicht. Meine Familie – nicht alle wussten schon länger Bescheid – hatte ich ein paar Wochen vorher informiert, sodass keiner mehr kalt erwischt werden konnte. Ich sagte ihnen, dass ich ein Interview geplant hätte, dass das bald erscheinen würde und dass ich nicht vorhersehen könnte, was danach passiert.
Ich habe dann auch noch den Bundestrainer Joachim Löw angerufen, Teammanager Oliver Bierhoff. Und ich habe eine Kommunikationsberatungs-Agentur aus Köln engagiert, die sich speziell mit Krisen-PR auskennt. Ich wusste: Das muss jetzt alles klug und seriös gemanagt werden. Aber ich wollte mir nichts mehr ausreden lassen, von den Beratern nicht und von niemandem sonst, ich habe ihnen gesagt: Das hier ist mein Plan. Und zu meinem Plan gehörte, dass ich nach dem Tag der Tage abhauen würde. Wenn es raus ist, wollte ich weg sein. Und zwar so weit wie möglich.
Noch saß ich aber in meiner Wohnung in München-Haidhausen. Mich umgab dieses in größter Spannung auch wieder beruhigende Gefühl, an alles gedacht zu haben. Wie ein Pilot, der vorm Start noch mal die Instrumente gecheckt hat. Alles okay. Ich wollte daheim sein, in der Sicherheit meiner Wohnung, ich war darauf eingestellt, die Ereignisse an mir vorbeiziehen zu sehen. Der Tag würde wie ein Film sein, den ich anschaue, in dem ich aber auch selbst mitspiele. Ich mailte und telefonierte ein paarmal mit demZeit-Redakteur Moritz Müller-Wirth. Gemeinsam mit der Publizistin Carolin Emcke hatte er mich die vergangenen Jahre fürsorglich begleitet, die beiden waren zu Vertrauenspersonen geworden, ihnen hatte ich auch das Interview gegeben, um das es ging.
8. Januar, gegen Mittag, dieZeit wurde gedruckt, damit wussten jetzt schon Leute in der Druckerei Bescheid. Das ist im Nachrichtengeschäft ein entscheidender Moment, hatte ic