Kapitel 1 - Klang der Stille
Tag 4, Monat 6, 1 EP 11 150
Gegenwart
Der vierte Fußtritt schmerzt weniger. Auch weil ich heimlich das Hämmern, das durch meinen Rücken schießt, mit Magie dämme. Doch die Seele vermögen meine Kräfte nicht zu heilen … die vielen eiternden Wunden, die darin klaffen, während ich vorgebe, nicht zu spüren, wie weh sie mir tun. Äußerlich und innerlich.
Ich bin anders. Das war ich immer schon und ich käme im Grunde damit zurecht. Meine Umwelt allerdings weniger.
»Winsle um Gnade, Schweinejunge! Du dreckiger Bastard!«, bellt mich einer der Knechte an, die mich eingekreist haben. Seine Stimme trieft vor Hohn und Abscheu gleichermaßen.
So viel Hass … habe ich ihn verdient? Ich wüsste nicht, womit.
Ich liege im schmutzigen Stroh des Schweinestalls und habe mich zu einem Päckchen zusammengerollt, die Arme schützend um den Kopf geschlungen. Wenn sie mich dort treffen und ich ohnmächtig werde, werden die Qualen so lange dauern, bis ich vor Schmerzen wieder aufwache, das ist mir klar.
Die Knechte des Weingutes wollen ihren Spaß mit mir, mich betteln und winseln hören. Falls ich ihnen das nicht biete, werden sie zu härteren Mitteln greifen, bis ihre sadistische Lust gestillt ist.
»Bitte … hört auf«, nuschle ich trotzdem gegen den Ellenbogen und hasse mich dafür, dass meine Stimme zittert.
Am liebsten würde ich die Peiniger meine Magie spüren lassen, aber die Fußtritte wären nichts gegen die Folgen, die das nach sich ziehen würde.
Keiner weiß, dass ich diese Kräfte in mir trage, seit ich zehn Jahre alt wurde. In den vergangenen zwanzig Jahren habe ich gelernt, meine Fähigkeiten vor anderen zu verbergen, sie nur heimlich einzusetzen und zu üben.
»Oh nein, du eklige Missgeburt, wir fangen gerade erst an!«, höhnt einer der Peiniger und ein weiterer Tritt gegen meinen Rücken lässt mich laut aufkeuchen, was die vier Kerle zum Lachen bringt.
Missgeburt … so nennen sie mich, weil ich trotz meiner dreißig Jahre aussehe wie sechzehn. Ich altere rein äußerlich so viel langsamer als normale Menschen. Keine Ahnung, warum das so ist. In die Schule bin ich aufgrund meiner Andersartigkeit nie gegangen, habe Schreiben und Lesen nur von meinem Vater gelernt – ehe er bettlägerig wurde. Da war ich gerade mal acht Jahre alt.
Er hat von einem Tag auf den anderen einfach aufgehört zu sprechen. Zu essen. Zu … leben. Keiner weiß, warum das geschah, kein Heiler konnte ihm helfen. Seither liegt er im Bett, und wenn ich mich nicht um ihn kümmern und ihm täglich Suppe einflößen würde, wäre er wohl längst tot.
Danach wurde mir keinerlei Ausbildung mehr zuteil, da meine Stiefmutter sich weigerte, einen Lehrer für mich zu bezahlen oder mir gar selbst zu helfen. Alles, was ich nach Vaters Erkrankung lernte, habe ich aus Büchern aufgeschnappt, die ich unbemerkt in der Bibliothek unseres Gutshauses lese. Wenn alle schlafen und ich für ein paar Stunden in die Magie der Geschichten entfliehen kann.
Bücher sind meine Erlösung. Sie helfen mir, weit weg zu reisen. Weg von meinem furchtbaren Alltag. Weg von Momenten wie eben diesen, wenn die anderen Knechte mich drangsalieren.
Ein nächster Tritt gegen mein Steißbein treibt mir die Tränen in die Augen und ich unterdrücke mit Müh und Not ein erstes Wimmern. Heule ich zu