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Am darauffolgenden Sonntag, abends, zur Zeit der Totenmesse für František Hovorčovická, zog Ingo Stoffregen die Haustür hinter sich ins Schloss und machte sich auf den Weg ins Konzert. Er war ein breitschultriger, muskulöser junger Mann mit einem gutmütigen Gesichtsausdruck – wahre Freunde hätten ihm jedoch ruhig dazu raten können, den dünnen Oberlippenbart abzurasieren. Seine Haare trug er windschlüpfrig kurz, seine Gesichtsbräune hatte er sich redlich bei internationalen Triathlons und anderen Grausamkeiten erworben. Er war einIronman, wenn auch ein kleiner, gedrungener. Er nahm nun Anlauf durch den Vorgarten und straddelte freihändig über das Gartentor. Er warf einen Blick auf die Uhr, in einer Viertelstunde begann das Konzert. Auf dem Gehweg vor seinem Haus verfiel er schon nach ein paar Schritten in einen leichten, aber athletischen Trab, er pflügte durch die krummen Straßen, lief Slalom zwischen kopfschüttelnden Sonntagsspaziergängern und spurtete dann einen kleinen Spazierweg am Fluss entlang – das alles freilich nicht in seiner blaugestreiften alten Sporthose, in der er oberbayrischer Meister im Querfeldeinrennen und südbayrischer im Free-Solo-Climbing geworden war, sondern in der steifen Abendgarderobe, die man sich bei einem Konzertbesuch antut. Er hob den Kopf und suchte im Wolkenvorhang über dem Karwendelgebirge nach einem Streifchen blauen Himmels, nach irgendeinem Anzeichen dafür, dass sich die Schlechtwetterfront Richtung Österreich verzog und dass es in diesem Tal doch noch ein schöner Augustabend werden könnte. Fehlanzeige: Es braute sich ein Gewitter zusammen, und erste blecherne Donnerschläge erklangen. Ingo Stoffregen hatte jetzt noch eine knappe Stunde zu leben.
Das Konzert begann in wenigen Minuten, er war viel zu spät aufgebrochen und erhöhte jetzt sein Tempo von Langstrecke auf Mittelstrecke. Für ihn war das ein Klacks, doch kaum einer der Bauch-weg-Jogger, die ihm da entgegenkamen, hätte mehr als fünfzig Meter mithalten können bei seinem Parforcelauf. Am hinderlichsten waren ihm dabei die unbequemen Lackschuhe, er hätte sie gern ausgezogen und wäre barfuß weitergelaufen. Er flog jetzt nur so dahin, sodass ein mitrennender junger Golden Retriever nach zweihundert Metern entnervt aufgab und keuchend am Straßenrand sitzen blieb. Ingo Stoffregen wollte, wenn er schon nicht pünktlich kam, wenigstens nicht allzu spät kommen, er schaltete noch einen Gang höher, blickte, als er am Sportplatz vorbeilief, sehnsüchtig auf die Fußballzwerge der F-Jugend, die gerade den Fallrückzieher üben durften. Sie fielen mit dem Rücken ins feuchte weiche Gras und jodelten vor Glück. Er näherte sich dem Ortskern.
Seine Eile hatte weniger den Grund, das Konzert möglichst vollständig zu hören, er war beileibe kein regelmäßiger Konzertgänger, es war sogar sein erster Besuch solch einer Veranstaltung. Er hatte sich vielmehr mit einer gewissen Gaby verabredet, einer Gaby mit »y«, wie sie hervorgehoben hatte. Er hatte sie am Tag zuvor beim Squash kennengelernt (wo auch sonst), und er hatte ihr von den zwei Konzertkarten erzählt, die er geschenkt bekommen hatte. Er wäre mit ihr lieber nochmals Squashspielen gegangen oder um den Eibsee gelaufen, sie jedoch hatte Lust gehabt, ins Konzert zu gehen, in ein Klavierkonzert der Pianistin Pe Feyninger, die eine rechte Skandalnudel wäre, bei deren Konzerten man immer mit einer Überraschung, meist einer Attacke auf den guten Geschmack, rechnen müsse. Ingo Stoffregen war beeindruckt