: Nina Kay
: Mercy Me Frag nicht nach Schuld
: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
: 9783962151201
: 1
: CHF 4.00
:
: Erzählende Literatur
: German
: 497
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als Joel aus dem Gefängnis entlassen wird, schwört er sich, sein altes Leben endgültig hinter sich zu lassen. Er ist auf alles vorbereitet, nur nicht auf Fay, die er an einer Tankstelle zwischen Los Angeles und Sacramento trifft. Fay ist schön, ihr Lächeln strahlend und ihre Augen sind so blau, dass sie Joel den Himmel auf Erden versprechen, als er zu ihr in den Wagen steigt. Das Bild, das sie von sich zeichnet, katapultiert ihn, den Sohn mexikanischer Einwanderer, direkt in die schöne neue Welt des amerikanischen Vorstadtlebens. Doch Fay ist nicht die, die sie vorgibt zu sein. Die Zuflucht, die sie in Joels vernarbten Armen und seinen Geschichten von Geistern und Königinnen findet, droht unter dem Gewicht der Lügen, mit denen sie ihn umspinnt, zu zerbrechen. Schließlich muss Joel sich entscheiden: Zwischen Fay, die in seinen schwarzen Augen nichts anderes als ihren Traummann sehen will, und seinen Erinnerungen an das, was damals geschehen ist ...

Nina Kay, geb. 1989 in Bielefeld, wuchs in Ostwestfalen-Lippe auf. Nach dem Besuch der Freien Waldorfschule in Detmold studierte sie Linguistik und Literaturwissenschaft im fachwissenschaftlichen Master an der Universität Bielefeld. Sie schreibt seit ihrem 14. Lebensjahr Geschichten im Genre des Jugendbuches und dem New Adult-Bereich, in denen sie sich sozialen Brennpunkten, Emotionen und den Tiefen der menschlichen Psyche widmet. Derzeit lebt sie in Bielefeld. In Ihrer Freizeit widmet sie sich neben dem Schreiben von Romanen der Kunst des Porträtzeichnens.

1.


„Fehlt was?“ Der Wärter hinter dem Tresen fixierte Joel, der akribisch die wenigen Münzen zählte, die sie ihm bei der Einlieferung abgenommen hatten.

„Ich hatte zwei Dollar und achtzehn Cent“, murmelte er und kam auf drei Cent Verlust.

„Willst du streiten?“

Joel sah auf und lächelte; sein Kiefer schmerzte noch immer. „Behalt’s einfach.“

„Wiedersehen, Mr. Cedrez Abarca.“ Der Aufseher sprach seinen Nachnamen wie ein besonders giftiges chemisches Element aus und entließ Joel mit einem kaputten Wohnungsschlüssel, seinem Pass und drei Cent zu wenig in die Freiheit. Dafür würde er nicht einmal eine halbe Schachtel Zigaretten bekommen. Keine noch so unbedarfte Hure würde ihm dafür auch nur in den Schritt fassen.

Joel warf das restliche Geld in den Gully und stieg mit einem seiner abgelaufenen Tagestickets in einen Bus, dessen Reifen in der Mittagssonne auf dem Asphalt klebten. Keine Huren mehr, dachte er und prägte sich die Straßenschilder vom California State Prison bis nach Whittier ein, dem Teil von L.A., in dem sie spanisch sprachen, spanisch kochten und jedes Klagelied wie Lobgesang klingen ließen. Keine geschlossenen Türen. Keine Dunkelheit nach acht Uhr. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und atmete die stickige Luft so tief ein, dass sie in seiner Lunge kristallisierte und die Partikel wie Nadelstiche auf seiner Haut kribbelten. Keine Grenzen mehr. Joel musste husten und wäre an dieser Maßlosigkeit beinahe erstickt.

Jimmy und Perez waren nicht da, stattdessen öffnete ihm Finn die Tür zu der Wohnung, in der sie zuletzt mit vier Leuten auf dreißig Quadratmetern gehaust hatten.

„Alter! Das gibt’s ja nicht, komm her, Mann!“ Finn riss Joel mit seinen massigen Pranken zur Begrüßung an sich. „Wie lange war’s jetzt? Wie viele Monate?“

„Zwei Jahre“, korrigierte Joel ihn und schob sich an Finn vorbei. Wenn sich etwas verändert hatte, war es der Dreck, der in den Ecken mittlerweile Wurzeln geschlagen hatte. Auf der einzigen funktionierenden Herdplatte stand eine benutzte Bong, und es roch durchdringend nach Marihuana.

„Zwei Jahre, Mann. Alles klar? Kommst du direkt aus der Wüste?“

„Ich bleib nicht lange.“ Joel suchte zwischen einem Stapel Sofakissen und zwei alten Matratzen nach seiner Reisetasche.

„Was?“

Er spürte ihn kommen und rechnete damit, dass Finn ihn von hinten am Arm packte.

„Wohin gehst du?“ Finn, der Sohn einer mexikanischen Mutter und eines Marinesoldaten, der Joel seit jeher den Rücken freigehalten und seine abgelegten Frauen dankbar angenommen hatte. Er war schlichtweg zu fett, um eine Gratisrunde zu kassieren.

„Weiß nicht“, erwiderte Joel knapp und suchte vergeblich nach den neuen Sneakern, die er diesen Deppen vor genau zwei Jahren anvertraut hatte. Dreihundert Dollar scheißteure Sneaker. „Wo sind meine Schuhe?“, fragte er lahm, obwohl er wusste, dass sie für immer verloren waren.

„Welche Schuhe, Mann?“

„Die waren limitiert.“

„Und vom Truck gefallen.“

„Sind sie eben nicht“, zischte Joel und schlug Finn hart gegen die Schulter. Um welchen Wert ging es hier eigentlich?

„Jetzt heul nicht gleich. Ich weiß nicht, wo deine abgefuckten Schuhe sind. Frag Jimmy. Er ist für die Finanzen zuständig.“

„Vergiss es.“

„Wohin gehst du?“, wiederholte Finn und folgte Joel wie ein Hund quer durch den Raum. „Und warum?“

„Weil ich keinen Bock mehr auf Dosenfraß habe? Weil ihr drei Wichser seid, die sich an meinem Eigentum vergehen? Weil ich Jimmys Scheiße im Klo nicht mehr ertragen kann? Such dir was aus.“

„Das ist echt bitter, Mann“, sagte Finn, doch es klan