»A couple of hundred people took leave from Ernst Toller in New York, fifteen feet above the noise of Broadway«,[1] berichtete die ZeitungWorkers Age über die Trauerfeier für Ernst Toller am 27. Mai 1939, fünf Tage, nachdem er sich im New Yorker Mayflower Hotel, an der Westseite des Central Park gelegen, das Leben genommen hatte. Keines seiner letzten Stücke hatte auch nur annähernd so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen können, wie jene letzte große Inszenierung in der Nähe des Broadways, New Yorks großer Theaterstraße, die den Dramatiker Toller missachtete. Die Inszenierung galt nicht nur Toller, sie galt der deutschen Emigration, für die der Suizid einer ihrer wichtigsten Integrationsfiguren, über die persönliche Tragödie hinaus ein politisches Moment mit verheerender Symbolkraft war. Dass Joseph Roths Tod am 27. Mai in Paris auf das Entsetzen über Tollers Suizid zurückzuführen sei, ist irgendwo zwischen Zuspitzung und Legende zu verbuchen. Sicher ist, Roth war über die Botschaft so bestürzt, dass er zusammenbrach und einige Tage später an den Folgen seines jahrelangen exzessiven Alkoholkonsums verstarb. Das Bild des ob Tollers Suizid kollabierenden Roth hält sich deshalb so hartnäckig, weil es die Reaktion der Exilanten so griffig fasst, wie es eine Metapher kaum könnte. Die Nachricht vom Tod Tollers schlug tatsächlich Schockwellen in der immer weiter fortschreitenden Diaspora der deutschen und österreichischen Emigranten. »Tollers Selbstmord hat hier eine sehr unerfreuliche Sensation gemacht; das klägliche Ereignis schien der Stimmung nur allzu vieler nur allzu adäquat zu sein«,[2] schrieb Golo Mann am 25. Mai aus Princeton an den Verleger seines Vaters, Gottfried Bermann Fischer. Toller und Roth innerhalb weniger Tage zu verlieren, zwei, die so unterschiedlich mit den Herausforderungen des Exils umgegangen waren, vergrößerte den Schock und ließ viele Emigranten die eigene Situation schmerzlich bewusst werden. »Wir werden nicht alt, wir Exilierten!«,[3] kommentierte Roths enger Freund Stefan Zweig die beiden Todesfälle. Toller, Roth und Zweig gehörten zu einer eng miteinander verbundenen Gruppe von Schriftstellern und Intellektuellen, die sich im Exil gegenseitig unterstützten, auch wenn diese Unterstützung manchmal nur in der geteilten Flasche Rotwein in Sanary-sur-Mer, Ostende oder einem anderen Fluchtpunkt des Exils bestand. Heinrich, Klaus und Erika Mann gehörten dazu, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Fritz Landshoff, Hermann Kesten, Irmgard Keun, Annette Kolb, René Schickele und viele andere aus unterschiedlichen Gründen Geflohene. Einige von ihnen engagierten sich im Komitee, das Tollers Beerdigung und Trauerfeier organisieren sollte, mit weiteren prominenten Persönlichkeiten wie Thomas Mann, Dorothy Thompson und Arnold Zweig. Mit Wilbur Cross war sogar ein ehemaliger demokratischer Gouverneur unter den Mitgliedern. Die schlicht gehaltene Trauerfeier in der Frank E. Campbell Funeral Chapel weckte die Solidarität der New Yorker Emigranten, aber auch amerikanischer Sympathisanten, die sich in seltener Einigkeit hinter Tollers Sarg versammelten.
Doch Tollers Tod war nicht nur für die Exilgemeinde von großer Bedeutung. Hermann Kestens schon 1934 in seinerWeltbühnen-Besprechung von Tollers autobiografischem TextEine Jugend in Deutschland getätigte Einschätzung, Toller sei einer der »Führer der deutschen Emigration«,[4] sieht sich fünf rastlose Exiljahre später in den Reaktionen auf seinen Tod, im Kreise der Emigranten wie auch im Deutschen Reich, tragisch bestätigt. Reichsdeutsche Zeitungen übertreffen sich gegenseitig im Ausmaß der Häme, die sie über den toten Toller ausgießen. DerBerliner Lokalanzeiger frohlockt am 23. Mai 1939: »Der berüchtigte kommunistische Schriftsteller und Autor von zahlreichen Hetzstücken, Ernst Toller, hat jetzt die Konsequenz aus seinem verpfuschten Leben gezogen.« DerVölkische Beobachter wird nicht müde, Tollers Bedeutungslosigkeit zu betonen, berichtet aber schon am 24. von seinem Ableben, gefolgt von einer halbseitigen Polemik in der Ausgabe vom 28./29. Mai. Unter dem Titel »Im Mayflower-Hotel baumelt ein Mann«[5] offenbart sich der Hass auf einen Mann, der alles war, was die Nazis verabscheuten: Jude, Sozialist, kritischer Intellektueller, Pazifist und Humanist. Der angeblich vergessene Jude Toller wird als Feigling und Drückeberger gezeichnet, als Kaffeehausrevolutionär und reicher, in Luxushotels residierender Snob.