: Veronika Schuchter
: Ernst Toller Revolutionär, Schriftsteller, Antifaschist. Eine Biografie
: Wallstein Verlag
: 9783835388154
: 1
: CHF 32.60
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 413
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die erste umfangreiche deutschsprachige Biografie Ernst Tollers, des Revolutionärs, der im Gefängnis zum berühmtesten Dramatiker der Weimarer Republik wurde. Er war der berühmteste Dramatiker der Weimarer Republik, seine Stücke spielte man von Moskau bis Sydney. In Ernst Tollers Lebensgeschichte ballen sich die zentralen Ereignisse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Als Jude in der preußischen Provinz geboren, meldete er sich freiwillig im Ersten Weltkrieg an die Front. Von der grausamen Kriegserfahrung geläutert wurde er zum Pazifisten. Die Begegnung mit Kurt Eisner macht ihn zum Revolutionär, kurz steht Toller sogar an der Spitze der Münchner Räterepublik. Während einer fünfjährigen Festungshaft wird er zum gefeierten Schriftsteller, 1933 zwingt ihn die Machtübernahme zur Flucht. Schon früh hat er die Zeichen der Zeit erkannt und unermüdlich vor den Nationalsozialisten gewarnt. Das Exil führt ihn schließlich nach England, Hollywood und New York, wo er, zeitlebens unter schweren Depressionen leidend, 1939 seinem Leben ein Ende setzt. Lange Zeit war der einst so berühmte Schriftsteller, Politiker und Aktivist fast vergessen. Veronika Schuchter erzählt das bewegte Leben Ernst Tollers als Spiegelbild seiner Zeit. Seine historische Weitsicht, sein Eintreten für die Schwächsten der Gesellschaft und gegen jede Form totalitärer Tendenzen machen sein Leben und Werk bis heute relevant.

Veronika Schuchter, geb. 1984, ist Senior Scientist am Institut für Germanis- tik an der Universität Innsbruck. Sie studierte Deutsche Philologie an der Uni- versität Innsbruck und war Projektmitarbeiterin der Briefausgabe Ernst Tol- lers an der Universität Koblenz. Veröffentlichungen u. a.: Ernst Toller's Letters from Exile, 1933-1939 (2022); Mitherausgeberin der kritischen Briefausgabe Ernst Tollers ins zwei Bänden (2018); Ewig wiederentdeckt. »... doch nicht nur für die Zeit geschrieben«. Zur Rezeption Ernst Tollers Person und Werk im Kontext (hg. mit Michael Pilz und Irene Zanol, 2018); Die Rezeption Ernst Tollers im Feuilleton nach 1955 (2018).

Einleitung


»A couple of hundred people took leave from Ernst Toller in New York, fifteen feet above the noise of Broadway«,[1] berichtete die ZeitungWorkers Age über die Trauerfeier für Ernst Toller am 27. Mai 1939, fünf Tage, nachdem er sich im New Yorker Mayflower Hotel, an der Westseite des Central Park gelegen, das Leben genommen hatte. Keines seiner letzten Stücke hatte auch nur annähernd so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen können, wie jene letzte große Inszenierung in der Nähe des Broadways, New Yorks großer Theaterstraße, die den Dramatiker Toller missachtete. Die Inszenierung galt nicht nur Toller, sie galt der deutschen Emigration, für die der Suizid einer ihrer wichtigsten Integrationsfiguren, über die persönliche Tragödie hinaus ein politisches Moment mit verheerender Symbolkraft war. Dass Joseph Roths Tod am 27. Mai in Paris auf das Entsetzen über Tollers Suizid zurückzuführen sei, ist irgendwo zwischen Zuspitzung und Legende zu verbuchen. Sicher ist, Roth war über die Botschaft so bestürzt, dass er zusammenbrach und einige Tage später an den Folgen seines jahrelangen exzessiven Alkoholkonsums verstarb. Das Bild des ob Tollers Suizid kollabierenden Roth hält sich deshalb so hartnäckig, weil es die Reaktion der Exilanten so griffig fasst, wie es eine Metapher kaum könnte. Die Nachricht vom Tod Tollers schlug tatsächlich Schockwellen in der immer weiter fortschreitenden Diaspora der deutschen und österreichischen Emigranten. »Tollers Selbstmord hat hier eine sehr unerfreuliche Sensation gemacht; das klägliche Ereignis schien der Stimmung nur allzu vieler nur allzu adäquat zu sein«,[2] schrieb Golo Mann am 25. Mai aus Princeton an den Verleger seines Vaters, Gottfried Bermann Fischer. Toller und Roth innerhalb weniger Tage zu verlieren, zwei, die so unterschiedlich mit den Herausforderungen des Exils umgegangen waren, vergrößerte den Schock und ließ viele Emigranten die eigene Situation schmerzlich bewusst werden. »Wir werden nicht alt, wir Exilierten!«,[3] kommentierte Roths enger Freund Stefan Zweig die beiden Todesfälle. Toller, Roth und Zweig gehörten zu einer eng miteinander verbundenen Gruppe von Schriftstellern und Intellektuellen, die sich im Exil gegenseitig unterstützten, auch wenn diese Unterstützung manchmal nur in der geteilten Flasche Rotwein in Sanary-sur-Mer, Ostende oder einem anderen Fluchtpunkt des Exils bestand. Heinrich, Klaus und Erika Mann gehörten dazu, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Fritz Landshoff, Hermann Kesten, Irmgard Keun, Annette Kolb, René Schickele und viele andere aus unterschiedlichen Gründen Geflohene. Einige von ihnen engagierten sich im Komitee, das Tollers Beerdigung und Trauerfeier organisieren sollte, mit weiteren prominenten Persönlichkeiten wie Thomas Mann, Dorothy Thompson und Arnold Zweig. Mit Wilbur Cross war sogar ein ehemaliger demokratischer Gouverneur unter den Mitgliedern. Die schlicht gehaltene Trauerfeier in der Frank E. Campbell Funeral Chapel weckte die Solidarität der New Yorker Emigranten, aber auch amerikanischer Sympathisanten, die sich in seltener Einigkeit hinter Tollers Sarg versammelten.

Doch Tollers Tod war nicht nur für die Exilgemeinde von großer Bedeutung. Hermann Kestens schon 1934 in seinerWeltbühnen-Besprechung von Tollers autobiografischem TextEine Jugend in Deutschland getätigte Einschätzung, Toller sei einer der »Führer der deutschen Emigration«,[4] sieht sich fünf rastlose Exiljahre später in den Reaktionen auf seinen Tod, im Kreise der Emigranten wie auch im Deutschen Reich, tragisch bestätigt. Reichsdeutsche Zeitungen übertreffen sich gegenseitig im Ausmaß der Häme, die sie über den toten Toller ausgießen. DerBerliner Lokalanzeiger frohlockt am 23. Mai 1939: »Der berüchtigte kommunistische Schriftsteller und Autor von zahlreichen Hetzstücken, Ernst Toller, hat jetzt die Konsequenz aus seinem verpfuschten Leben gezogen.« DerVölkische Beobachter wird nicht müde, Tollers Bedeutungslosigkeit zu betonen, berichtet aber schon am 24. von seinem Ableben, gefolgt von einer halbseitigen Polemik in der Ausgabe vom 28./29. Mai. Unter dem Titel »Im Mayflower-Hotel baumelt ein Mann«[5] offenbart sich der Hass auf einen Mann, der alles war, was die Nazis verabscheuten: Jude, Sozialist, kritischer Intellektueller, Pazifist und Humanist. Der angeblich vergessene Jude Toller wird als Feigling und Drückeberger gezeichnet, als Kaffeehausrevolutionär und reicher, in Luxushotels residierender Snob.