Dass sich Dr. Rolf Wieser, Richter am Amtsgericht München, Arbeit mit nach Hause nehmen musste, war unumgänglich gewesen. Gewisse Entscheidungen konnte er nicht so einfach weitergeben. In der letzten Zeit aber brachte er sich täglich Arbeit mit nach Hause.
Dann zog er sich gegen siebzehn Uhr, kaum war er heimgekommen, in sein kleines, aber sehr gemütliches Arbeitszimmer zurück, ging erst einmal zu seiner Stereo-Anlage, um eines seiner geliebten Vivaldi-Konzerte aufzulegen. Erklangen die ersten Takte, blickte er meistens nachdenklich aus dem Fenster. Und während er hinaus in den gepflegten Garten sah, schlich sich allmählich ein zufriedenes, gelöstes Lächeln auf sein Gesicht.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Seine Frau Alida trat ein. Sie war eine elegante Blondine von nicht ganz dreißig Jahren. Ihr Gesicht war feingeschnitten, aber eine Spur zu herb.
»Bist du schon lange hier?«, fragte sie ihn und nestelte dabei an ihren hochgesteckten goldbraunen Locken herum.
»Erst seit zehn Minuten, Alida.« Er wollte auf sie zugehen und den Arm um sie legen, aber Alida war viel zu beschäftigt, um das zu bemerken. Schnell stellte sie sich selbst ans Fenster. Dabei musste sie die Gardine zur Seite schieben, um ebenfalls hinausschauen zu können.
»Da ist sie schon wieder am Rosenbeet«, stellte sie kühl fest. »Wie oft habe ich Maria gesagt, sie soll vom Rosenbeet wegbleiben. Hast du’s gesehen, Rolf? Eben hat sie eine der gelben Rosen angefasst! Ich muss sofort zu Calaithis hinunter und ihn zur Rede stellen. Er soll gefälligst auf das Kind aufpassen! Sonst muss er sich eine andere Stellung suchen. Das wäre sowieso das Beste, da seine Frau ja ein zweites Kind erwartet. Wenn ich mir vorstelle, dass noch in diesem Sommer ein Baby im Wagen im Garten steht und schreit…«
Sie wollte hinaus, aber Rolf griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. »Bleib doch, Alida!«
»Warum? Solche Dinge müssen sofort geregelt werden, Rolf. Ich war bis eben bei meinem Steuerberater. Er hat mir geraten, einen zusätzlichen Gärtner einzustellen. Die Kosten dafür sind absetzbar…«
»Einen zusätzlichen Gärtner? Wozu denn, Alida? Theo Calaithis sorgt doch tadellos für den Garten. Noch nie hat seine Arbeit zu Beanstandungen Anlass gegeben. Ich wollt dir schon vorschlagen, ihm zu gestatten, eine Sandkiste in die äußerste Ecke des Gartens zu stellen. Das wäre doch hübsch! Die kleine Maria und ihr Geschwisterchen könnten dort spielen. Alida riss ihre blauen Augen entsetzt auf. »Spielen? Die Kinder sollen in meinem Garten spielen? Dann werden ja noch mehr Verwüstungen an den Blumenbeeten angerichtet! Und außerdem…« Sie atmete heftig, denn der Gedanke ließ sie erschaudern, »… außerdem habe ich bemerkt, dass Maria jetzt viele Freunde in unserer Nachbarschaft hat. Diese Kinder werden dann auch noch in unseren Garten kommen, Rolf! Nein, das kann doch nicht dein Ernst sein!«
Rolf legte den Arm um sie. Ein gütiges Lächeln umspielte seine Lippen, aber seine braunen Augen schauten dabei betrübt drein, als wisse er schon jetzt, mit welcher Heftigkeit Alida die Bemerkung, die er aussprechen wollte, aufnehmen würde.
»Sieh mal«, begann er trotzdem, »wir sind jetzt sechs Jahre verheiratet. Meine Arbeit beim Gericht macht mir Freude und garantiert mir ein gutes Gehalt. Warum denken wir nicht daran, selbst ein Kind zu haben, Alida… Dann würde unser Söhnchen oder unser Töchterchen auch im Garten spielen können. Gibt es etwas Schöneres für Kinder als einen Garten, in dem sie sich austoben können?«
»Mein Lieber…!« Sie lachte, aber es klang gar nicht fröhlich. »Ich habe dieses Haus von meinem Großvater geerbt. Dass außer uns noch fünf andere Parteien hier leben und gute Mieten bezahlen, das vergisst du wohl ganz, nicht wahr?«
»Nein, Alida, natürlich nicht. Und
damals, als wir hier einzogen, fand ich es auch ganz richtig, dass du in erster Linie Mieter, die keine Kinder hatten, ausgewählt hast. Aber das ist nun vier Jahre her. Wir sind älter geworden. Durch mein Arbeit beim Gericht sehe ich viele Dinge anders. Die Familie Calaithis hat mich durch ihre