: Maike Harel
: Omni-X Dystopischer Young-Adult-Roman über Freiheit, Selbstbestimmung und Überwachung
: Magellan Verlag
: 9783734804434
: 1
: CHF 11.70
:
:
: German
: 432
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Berlin im Jahr 2075: Willkommen in einer Welt, in der Leistung alles ist und dich ein kleiner Fehler alles kosten kann. In einer Gesellschaft der totalen Überwachung, in der nur zählt, wie regelkonform man sich verhält, hofft die siebzehnjährige Ellie, endlich den sogenannten 'goldenen Status' zu erreichen, um ihre Familie zu retten. Doch der soziale Aufstieg ist nur wenigen vorbehalten und sich gegen das System zu stellen, kann gefährliche Folgen haben ... Als sie den charmanten Sam kennenlernt, dessen Status auf mysteriöse Weise immer bei 'Gold' stehen zu bleiben scheint, glaubt sie der Lösung all ihrer Probleme nah zu sein. Doch kann Sam wirklich ihre Rettung sein, oder stürzt er sie ins Verderben?

Maike Harel schreibt Geschichten für Kinder und Jugendliche aller Altersstufen. Außerdem ist sie als Übersetzerin aus dem Englischen und Hebräischen tätig und gibt wahnsinnig gerne Lesungen für neugierige Schüler und Schülerinnen. Nach langen Jahren in aller Welt lebt sie heute mit einem netten Mann und drei fabelhaften Kindern in Berlin.

2.
Berlin 2075


Der Junge stand an der gegenüberliegenden Wand im Aufzug und schaute mich an. Also ungefähr einen Meter von mir entfernt hinter einer Barriere von mehreren Gelscheiteln und Hochsteckfrisuren. Er war groß, weshalb er über die anderen Aufzugfahrenden hinwegblicken konnte, um mich anzustarren. Schokocremeflecken vom Frühstück konnten nicht der Grund sein, weil ich gar keine Zeit für ein Frühstück gehabt hatte, sondern nur für einen schnellen Apfel auf dem Weg, der sowieso gesünder war – BioTracker sagt Danke. Lag es daran, dass mein Armband neuerdings glitzergolden leuchtete? Vier Komma drei Prozent höher als gestern Abend auf dem Spielplatz. Und so sollte es auch bleiben!

Keine Zeit, um mich zu fragen, warum irgendein Fremder – zugegeben ein gut aussehender Fremder – mich betrachtete, als wäre ich seine verschollene Kindergartenliebe.

Denn eines wusste ich: Die Prüfung heute war meine einzige Chance. An diesem ersten Wochentag der Sommerferien musste ich den Eignungstest für die Exzellenzkurse im letzten Schuljahr bestehen. Um irgendeine Aussicht zu haben, mein Leben weiter in die Bahnen zu lenken, von denen ich träumte. Wenn die Katastrophe einträte … eintrat … Ich schämte mich ein bisschen, dass ich »Katastrophe« dachte, weil ich wusste, wie sehr es Lisa verletzen würde. Aber meine Schwester sah nicht klar. Sie schien gar nicht zu begreifen, auf was sie zusteuerte. Ich begriff es umso besser.

Also den starrenden Jungen ignorieren (auch wenn er mich ein bisschen anmeine verschollene Kindergartenliebe erinnerte) und darauf konzentrieren, pünktlich zu sein.

Dummerweise war ich spät dran. Was zum einen an meinem neuen Status als begeisterte (ähem) Sportlerin lag – mit brennenden Oberschenkeln steht es sich halt schwer auf. Zum anderen hatte ich die fehlenden vier Prozent heute Morgen erreicht, indem ich im orangenen Overall des Freiwilligenteams Treppen in ebenjenem benachbarten Wohnturm geputzt hatte, in dem ich nun im Aufzug stand. Dafür gab es nämlich mehr Punkte, als wenn ich unsere traurigen Stiegen im heruntergekommenen Altbau poliert hätte. Außerdem war ich hier vor den Blicken meiner Lieblingsbewerterin, Klassenkameradin und Nachbarin Kia Petersen (Doppel-ähem) sicher.

»Um zum Eignungstest zugelassen zu werden, müssen deine Indexe auf mindestens 85% stehen«, hatte mir die Beratungslehrerin bei der Anmeldung mit vor Skepsis triefender Stimme gesagt. Mit anderen Worten: auf Gold. Ich hatte unruhig an dem Elastikband an meinem Handgelenk gespielt, das zu diesem Zeitpunkt einen traurigen grauen Punkt gezeigt hatte – niemand würde diese Leuchtfarbe als Silber bezeichnen, auch wenn das ihr offizieller Name war. Das Band hatte ich gerade an das Pad auf dem Schreibtisch vor meiner Lehrerin gehalten, damit sie die Daten aus dem Chip auslesen konnte.

»Nun …« Die Lehrerin hatte ihrem lippenstiftrosa Mund ein Lächeln abgerungen, als ich störrisch auf der Anmeldung beharrte. »Jeder hat eine Chan