: Sally Ressler
: Kelpieblut Chroniken aus Anderland - Band 2
: Novo Books
: 9783961274482
: Chroniken aus Anderland
: 1
: CHF 1.80
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: Fantasy
: German
: 90
: DRM/kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB/PDF
Cailen ist ein Kelpie, ein Monster der Flüsse. Dochals sein Freund nicht von der Jagd zurückkehrt, muss er die Sicherheit des Wassers verlassen. Er wechselt die Gestalt und folgt den Spuren seines Freundes in das Reich der Menschen. Während er versucht, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden, gerät er zwischen die Fronten eines Krieges. Widerwillig muss er sich einem Krieger anschließen, um seine Suche fortsetzen zu können. Cailen wird gezwungen, seine alten Vorurteile zu überdenken. Um seinen Freund zu finden, bleibt ihm nichts anderes übrig, als dem Menschen zu vertrauen. Doch ein Geheimnis darf er nicht teilen, denn wenn seine wahre Gestalt offenbart wird, ist sein Leben in Gefahr.
Wassertropfen glitzerten in der Nachmittagssonne. Einen Moment lang hingen sie scheinbar schwerelos in der Luft, doch kurz darauf fielen sie wieder zurück in den Fluss. Es bildete sich ein feiner Nebel und das Wasser trieb weiter stromabwärts. Wenig später sprang es erneut nach oben und klatschte gegen kalten Stein. Tropfen rannen hinab und hinterließen dunkle Spuren. Die Steine waren rau, von Menschenhand zu Blöcken geschlagen, doch inzwischen von der Natur zurückerobert. Die alte Brücke war bereits vor vielen Jahren während der Herbststürme zusammengebrochen. Grüne Algen zeugten davon, dass seitdem keine Menschenhand sich an ihnen zu schaffen gemacht hatte. Das Wasser, verwirbelt durch die Brücke, floss weiter. Kaum sichtbar teilte es sich. Kaum sichtbar und doch unnatürlich. Etwas bewegte sich unter der Oberfläche. Brauner Schlamm hatte das Wasser dunkel gefärbt und machte es unmöglich, in die Tiefe zu blicken. Binsen trieben nach oben, tanzten im Wasser und wurden doch nicht davongetragen. Den Binsen folgten Ohren, spitz und in alle Richtungen zuckend. In der Ferne wurde das Klappern von Pferdehufen lauter. Die Ohren schnellten herum, richteten sich auf das neue Geräusch aus. Ein Kopf erhob sich langsam aus dem Wasser, noch halb verdeckt von den Binsen. Leere Augenhöhlen fixierten das Flussufer, genauer den Beginn der zerstörten Brücke. Das Hufgetrappel verstummte."Sie haben die Brücken wirklich verfallen lassen." Es war eine Männerstimme. Sie klang genervt."Ich habe es dir doch gesagt." Die Stimme war weiblich. Der Schlamm schmatzte, als der Mann von seinem Pferd stieg. Er machte einen weiteren Schritt und die Absätze seiner metallverstärkten Stiefel knallten auf harten Stein."Lass es uns weiter südlich versuchen." Die Frau war nicht abgestiegen, hatte dem Klang ihrer Stimme nach ihr Pferd sogar gewendet. Der Mann gab keine Antwort, lief Schritt für Schritt auf den Rand des Flusses zu. Das Wasser schien ruhig. Lediglich der aufmerksame Beobachter konnte kleine Wellen sehen, die über die Wasseroberfläche flussaufwärts liefen. Das Wesen kam näher. Der pferdeähnliche Kopf hob sich noch ein Stück weiter aus dem Wasser und entblößte zwei Reihen weißer Zähne, breit wie Pflastersteine hinten und spitz wie Messer vorne. Der Mann am Wasser sank auf ein Knie. Eine Hand legte er auf den kalten Stein, die andere ruhte auf dem Schwertgriff an seiner Hüfte. Das Wesen im Wasser legte die Ohren an. Ganz langsam öffnete sich das Maul, Wasser strömte hinein und erzeugte einen kaum sichtbaren Strudel. Der Mann beugte sich nach vorne."Komm endlich." Es war die Frau, inzwischen schon einige Meter entfernt. Der Mann richtete sich auf und seine Hand rutschte vom Schwertgriff. Als er sich umwandte, schlugen die Zähne im Wasser knirschend aufeinander. Der Mann hörte es nicht und ohne einen Blick zurück, schwang er sich auf den Rücken seines Pferdes. Während die beiden Reiter sich vom Flussufer entfernten, tauchte der Körper des Wesens vollständig aus dem Wasser auf. Tropfen perlten von dem schwarzen Fell ab, als es die Vorderhufe das Ufer hinaufschob und den Oberkörper aus dem Fluss hievte. Man hätte es für ein übergroßes, stark verunstaltetes Pferd halten können, wäre da nicht der Fischschwanz, der durch das Wasser peitschte. Es war ein Kelpie, der vor langer Zeit den Namen Cailen bekommen hatte. Wasser lief aus seinem Maul, während die leeren Augenhöhlen auf die immer kleiner werdenden Reiter fixiert waren. Erst als sie am Horizont verschwanden, bäumte sich der Kelpie auf und schlug mit seinem Schwanz auf die Wasseroberfläche. Eine Fontäne spritzte in die Höhe und benetzte die Überreste der alten Brücke vollständig mit Wasser. Mit einem Knurren, das wie Donnergrollen über die Ebene fegte, ließ sich Cailen zurück in die Strömung sinken. Der Fluss umarmte ihn wie einen alten Freund, und Cailen atmete tief ein. Schlamm und Wasser drangen in seine Nase. Am Grunde des Flusses schimmerten die Überreste von Knochen. Als Cailen über sie hinweg glitt, spürte er die Splitter an seinem Bauchfell, als wollten sie eine späte Rache ausüben. Aber der Fluss hatte sie rund geschliffen und mehr als ihn kitzeln konnten sie nicht. Ein Fisch schwamm an seiner Nase vorbei und Cailen konnte das warme Blut riechen. Die Fische wussten, dass ein Kelpie, der nicht komplett verzweifelt war, niemals Fisch fressen würde. Weitere Fische passierten Cailen, nur wenige Huflängen entfernt. Er war jedoch inzwischen verzweifelt genug. Knurrend schnappte er nach dem nächsten Fisch, aber als seine Zähne aufeinander krachten, befand sich nur Wasser zwischen ihnen. Die Strömung hatte sich beschleunigt und trieb die Fische aus seiner Reichweite. Der Fluss liebte alle Geschöpfe als seine Kinder gleich viel. Seinen Hunger unterdrückend, wandte sich Cailen an das Wasser."Zurück zu Torin", murmelte er. Heute würde kein Reisender mehr vorbeikommen. Eine Flutwelle rollte über den Gewässerboden und zog Cailen mit sich flussaufwärts. Vielleicht war Torin erfolgreicher bei der Jagd gewesen. Bei dem Gedanken an eine frische Mahlzeit stahl sich ein Grinsen auf Cailens Gesicht. Die Reise im Wasser dauerte nicht lange, und kurze Zeit später kam die Strömung zum Erliegen. Am Gewässerboden stand ein weiterer Kelpie. Grüne Haare tanzten im Wasser auf und ab und leere Augenhöhlen starrten Cailen entgegen. Dieser schlug mit seinem Schwanz, bis seine Vorderhufe den Untergrund berührten. Sand wirbelte auf, während er versuchte, festen Halt zu bekommen. Der Fischschwanz wurde immer schwerer, teilte sich in zwei, und formte schließlich zwei Beine, die den vorderen glichen. Stumm standen die Kelpies sich gegenüber."Erfolglos?" Das Wort tanzte durch das Wasser, bis es an Cailens Ohren ankam. Langsam neigte er den Kopf."Zwei Reiter an der alten Brücke, aber sie haben nicht versucht, den Fluss zu überqueren." Der andere Kelpie mit dem Namen Torin nickte."Das Gleiche bei mir. Keine Wanderer, nicht einmal Angler am Ufer." Cailens Magen bäumte sich auf, erinnerte ihn daran, dass es bereits mehrere Tage her war, dass er etwas gegessen hatte. An Torins angelegten Ohren konnte er erkennen, dass dieser die gleichen Gedanken hatte. Cailen trabte auf den anderen Kelpie zu und vergrub seine Nase in dem roten Nackenfell. Er spürte die Wärme und das Blut, das durch den Körper pulsierte."Lass uns schlafen und es morgen noch einmal versuchen", sagte er. Torin gab keine Antwort. Stattdessen spürte Cailen eine Zunge, die über seine vom Wasser zerzausten Haare fuhr, bevor Torin einen Schritt zurück machte. Er wirkte ernst."Die Menschen sammeln sich weiter im Süden", sagte Torin. Seufzend drehte sich Cailen im Kreis. 'Ich weiß.' Er sah zu, wie der Sand unter seinen Vorderhufen aufwirbelte, kurz im Wasser ausharrte und langsam wieder zurücksank. Mit einem zweiten Seufzer knickte er die Beine ein und ließ sich selbst zu Boden sinken. Das Wasser umspülte seinen Körper, seinen Kopf, als wolle es alle Sorgen hinfort reißen. Torin stand noch immer an Ort und Stelle, den Blick ausdruckslos nach vorne gerichtet. Als Cailen den Kopf hob, sahen sie sich kurz an, dann brach Torin den Kontakt."Ich werde nach Süden gehen", sagte er leise. Cailen hatte das Gefühl, als würde eine eiskalte Welle über seinem Kopf zusammenbrechen. Schnell kam er wieder auf die Beine."Auf keinen Fall! Dort sind zu viele Menschen auf einem Haufen. Es wäre Wahnsinn, dorthin zu gehen." Torin betrachtete noch immer den Gewässerboden, machte keine Anstalten, Cailen anzuschauen. Als er sprach, war seine Stimme jedoch fest. 'Mag sein, aber es wäre auch Wahnsinn, hier zubleiben. Wir werden verhungern.' Cailen trat auf seinen Freund zu, versuchte irgendwie seinen Blick einzufangen. 'Wir werden nicht verhungern.' Torin stieß sich vom Flussbett ab, bis er einige Meter über Cailen im Wasser stand. 'Ich weiß, dass du nicht gehen willst, aber ich muss es tun. Solange wir im gleichen Element sind, werden wir einander fühlen.' Cailen spürte, wie sich ein unsichtbares Band um sein Herz legte und aus einem Herzschlag zwei wurden. Er wandte sich ab und starrte in die Dunkelheit des Wassers. Über ihren Köpfen zogen sich die letzten Sonnenstrahlen zurück. Cailen spürte eine Berührung an seiner Flanke. Ob es der Trost des Wassers oder ein Abschiedsgruß Torins war, wollte er nicht wissen. Er konzentrierte sich auf den zweiten Herzschlag und spürte, wie die Entfernung größer und größer wurde, während sich Torin nach Süden entfernte.