: Rainer Sachse, Meike Sachse, Jana Fasbender
: Klärungsorientierte Psychotherapie der narzisstischen Persönlichkeitsstörung
: Hogrefe Verlag GmbH& Co. KG
: 9783844433371
: 2
: CHF 21.50
:
: Psychologie
: German
: 181
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Klienten und Klientinnen mit Narzisstischer Persönlichkeitsstörung (NAR) stellen Therapeutinnen und Therapeuten vor große Herausforderungen und verlangen von ihnen eine hohe therapeutische Expertise, damit eine Intervention erfolgreich verlaufen kann. Das Buch behandelt das Therapiekonzept der Klärungsorientierten Psychotherapie der narzisstischen Persönlichkeitsstörung, dass sich als sehr effektive Therapiemethode erwiesen hat. Thematisiert werden insbesondere die komplementäre Beziehungsgestaltung, Strategien der Konfrontation und Motivierung, Strategien zum Umgang mit Manipulation und schwierigen Interaktionssituationen, der Schemaklärung und Schemabearbeitung. Dabei werden drei Typen von Narzissten unterschieden: Erfolgreiche, Erfolglose und Gescheiterte Narzissten. Diese werden anhand von Transkripten exemplarisch verdeutlicht. Auf die diagnostische Relevanz dieser Unterscheidung wird eingegangen, und es werden spezifische therapeutische Vorgehensweisen für die unterschiedlichen Gruppen entwickelt.

|14|2  Das Klärungsorientierte Konzept von narzisstischer Persönlichkeitsstörung: Konzeption und Diagnostik


In diesem Kapitel geben wir aus klärungsorientierter Sicht eine Definition von Narzissmus und führen die Unterscheidung ein zwischen erfolgreichen, gescheiterten und erfolglosen Narzissten. Wir geben einen Überblick über Verhaltensmerkmale, die die narzisstische Störung kennzeichnen und stellen dann die relevanten „Tiefen-Strukturen“ (Schemata, Motive und Spielstrukturen) erfolgreicher, gescheiterter und erfolgloser Narzissten dar.

2.1  Was sind Narzissten?


2.1.1  Eine erste Beschreibung

Genau wie bei anderen Persönlichkeitsstörungen auch rangiert der Narzissmus (NAR) von leichtem Stil bis zu einer sehr schweren Störung. Und wie bei anderen Störungen auch, stellt ein narzisstischerStil eher eine Ressource dar als eine Belastung (d. h. die Gewinne sind höher als die Kosten): Die Personen sind leistungsfähiger, sind „straight“, gut organisiert, haben ein gutes Durchhaltevermögen, sind ambitioniert, zufrieden und erfolgreich (vgl.Campbell, 1999,2001;Horten& Sedikides, 2009;Johnson, 2005;Kohut, 1977;Lelord& André, 2009;Oldham& Morris, 2010;Ronningstam, 2005;Russ et al., 2008;Stone, 1998;Wink et al., 2005).

Je stärker sich der Narzissmus einer schweren Störung annähert, desto höher werden jedoch dieKosten, die er verursacht. Zum Beispiel komorbide Achse-I-Störungen, Substanzmissbrauch, starke interpersonelle Probleme, erhöhtes Suizidrisiko u. a. (Bachar et al., 2005;Campbell et al., 2002;Caroll et al., 1998;Ehrenberg et al., 1996;Links et al., 2003;Luhtanen& Crocker, 2005;Morf& Rhodewalt, 2001;Rathvon& Holmstrom, 1996;Ritter et al., 2008;Ronningstam, 1996;Ronningstam& Maltsberger, 1998;Vaglum, 1999).

In der ambulanten Psychotherapie sind nach unserer Erfahrung die „mittelschweren“ Störungen am häufigsten: Daher wollen wir mit deren Beschreibung beginnen, um dem Leser einen ersten Eindruck zu vermitteln (vgl. hierDöring& Sachse, 2008;Sachse, 2001a,2002,2004a,2004b,2006a,2006b,2007,2008a).

|15|Klienten mit NAR weisenimmer ein negatives Selbstschema auf mit Annahmen wie „ich bin inkompetent“, „ich kann nichts“, „ich bin ein Versager“ u. ä.: Daher weisen Klienten mit NAR neben einem positiven Selbstschemaimmer auch ein negatives Selbstschema auf (auch dann, wenn sie extrem erfolgreich sind) und damit zeigt sich auchimmer ein (mehr oder weniger) hohes Maß anSelbstzweifeln: Gedanken wie „schaffe ich das wirklich?“, „bin ich wirklich gut genug?“, „an dieser Aufgabe könnte ich scheitern“ u. a. Anders als Personen, die einfach nur hoch leistungsmotiviert sind (im Sinne von „Hoffnung auf Erfolg“ nachHeckhausen, 1963) haben NAR daher immer eine Ebene von Selbstzweifeln, von „Furcht vor Misserfolg“, eine Ebene der Angst, scheitern zu können. Damit sind NAR auch immer (mehr oder weniger stark) kritik-empfindlich oder „verletzlich“: „Verletzlichkeit“ ist damit ein allgemeiner Aspekt von NAR.

Diese Selbstzweifel stammen unserer Erfahrung nach immer aus der Biographie und entstehen über negatives Feedback wesentlicher Bezugspersonen (meist des Vaters), einer Kombination von hoher Erwartung („Du musst erfolgreich sein!“) und Zweifeln („Ich glaube nicht, dass Du es schaffst!“) bzw. aus der Angst der Kinder/Jugendlichen, bei nicht ausreichendem Erfolg (massiv) abgelehnt zu werden. Wir haben in der Therapie noch nie Klienten gesehen, die nur positives (oder nur übertrieben positives) Feedback erhalten hätten.

2.1.2  Drei Typen von Narzissten

Wir unterscheiden in unserem Ansatz drei Kategorien von NAR: Die erfolgreichen (NAR), die gescheiterten (GENAR) und die erfolglosen (ELNAR): Diese Unterscheidung ist nicht nur theoretisch sinnvoll, sie ist auch praktisch-therapeutisch hoch relevant, da die therapeutischen Vorgehensweisen sich unterscheiden und die Therapie-Effekte unterschiedlich sind (vgl.Kapitel 7.2.3).

2.1.3  Erfolgreiche Narzissten

Erfolgreiche Narzissten (ERNAR) bemerken irgendwann in ihrer Biografie, dass sie ihre Selbstzweifel durch Leistung und Erfolge kompensieren können, und entscheiden sich dann dazu, sich anzustrengen und aktiv zu beweisen, dass ihre Selbstzweifel nicht stimmen. Durch die Erfolge, die sich dann, wenn sie gut genug sind, einstellen, entwickeln sie dann ein (zu dem negativen Schema)paralleles positives Schema, das manchmal (auch aus kompensatorischen Gründen) sehr positiv oder sogar unrealistisch positiv ist und Annahmen enthält wie „ich bin toll“, „ich bin hochbegabt“, „ich habe außergewöhnliche Fähigkeiten“ u. a.

Erfolgreiche Narzissten neigen dann dazu,

  • viel zu leisten, um Erfolge zu haben,

  • mit diesen Erfolgen anzugeben,

  • |16|stark mit anderen zu konkurrieren,

  • jedoch stark kritikempfindlich zu bleiben,

  • ein hohes Anspruchsdenken zu haben, sich für „was Besseres“ zu halten und davon auszugehen, eine „Sonderbehandlung“ zu verdienen,

  • manchmal arrogant zu sein, anderen wenig zuzuhören,

  • stark egozentrisch zu sein und zu glauben, das Universum „drehe sich um sie“.

Obwohl sie erfolgreich und oft sogar sehr erfolgreich sind, haben sie das Gefühl, dass ihnen etwas fehlt und sieunzufrieden sind, sie verstehen aber nicht, warum. Ihr Verhalten erzeugt oft hohe Kosten: Sie verschleißen sich im Beruf, entwickeln psychosomatische Beschwerden, insbesondere Herz-Kreislauf-Probleme, vernachlässigen wichtige Beziehungen, haben zu wenig Zeit für sich selbst, machen sich ständig Sorgen um Karriere und Erfolg u. a. (vgl.Bornstein& Gold, 2008;Daig et al., 2009;Miller& Campbell, 2008;Miller et al., 2009).

Meist sind es dieseKosten, die einen ERNAR dazu veranlassen, eine Therapie aufzusuchen und nicht die Persönlichkeitsstörung an sich (vgl.Ritter& Lammers, 2007). Sie wissen jedoch nicht, was sie ändern könnten oder denken, dass sie gar nichts ändern können, und hoffen darauf, dass ein Therapeut ihnen einen Ausweg aufzeigt.

Wenn sie in Therapie kommen, erzählen sie oft dem Therapeuten, sie hätten keine Probleme oder wenn, dann hätten sie sie alle „im Griff“. Sie erzählen langatmig von Erfolgen, lassen sich oft nur schwer unterbrechen und gehen auf Fragen des Therapeuten kaum ein. Sie neigen dazu, Therapeuten zu testen, um festzustellen, ob der Therapeut „ihnen gewachsen“ oder ob er gut genug für sie ist. Sie fühlen sich schnell und leicht kritisiert, „defizitär definiert“ und neigen dazu, reaktant zu werden, wenn Therapeuten ihnen Ratschläge geben. Manchmal reagieren sie schon allergisch auf das Wort „Problem“ (denn „Probleme“ haben sie natürlich nicht), und im Grunde „wissen“ sie schon, was sie tun sollten und haben ihre Probleme schon „verstanden“. Sie gehen oft nicht ohne Weiteres in eine Klienten-Rolle und vermeiden sehr stark eine Auseinandersetzung mit ihrem negativen Selbst-Schema.

Aus diesen Gründen gelten sie zu Recht als „schwierige Klienten“, die ein Therapeut unbedingt „richtig abholen“ muss, um effektiv mit ihnen arbeiten zu können (vgl.Gabbard, 2009;Kernberg, 2007). Unerfahrene Therapeuten machen hier viele Fehler, und einige davon führen schnell dazu, dass die Klienten die Therapie abbrechen; andere führen zu „Machtkämpfen“ oder dazu, dass sich die Therapie in ein „Diskussionsforum“ verwandelt.

2.1.4  Erfolglose Narzissten

Erfolglose Narzissten (ELNAR) weisen dagegen praktisch keine realen Kompensationsbemühungen auf und realisieren daher auch keine Erfolge: Entweder vermeiden sie generell die mit der Kompensation ...