2. ZWISCHEN DEN WASSERN
„Es war einmal ein wohlhabendes englisches Brüderpaar namens Henry und George Richardson, eineiige Zwillinge und auch im vorgerückten Mannesalter von Mitte fünfzig nur für ihre Nächsten jederzeit an winzigen körperlichen Merkmalen und individuellen Marotten eindeutig voneinander zu unterscheiden.
Die beiden hatten, so schien es, genau zum rechten Zeitpunkt von ihren, bei einem Autounfall in Marseille ums Leben gekommenen Eltern nicht nur die seit Urzeiten in Familienhand befindlichen Liegenschaften - allen voran das Tudor Manor - auf der Kanalinsel Guernsey geerbt, sondern waren obendrein in den Besitz eines „mobilen“ Vermögens in Form von Wertpapierdepots und Bankguthaben gelangt. Diese vorerst nicht versiegenden finanziellen Quellen ermöglichten es den beiden passionierten Seglern, ihre jeweilige Berufstätigkeit - der eine war Anwalt, der andere Steuerberater – an den Belegnagel zu hängen, um fortan zusammen mit ihren Frauen Judith und Barbara auf ihrem, ebenfalls aus der Erbmasse stammenden vintage Gaffelschoner Southern Seas die Ozeane zu durchpflügen.“
„Beneidenswert,“ kommentierte Neumeier versonnen.
„Was zeichnet einen…Gabel…?“
„Gaffelschoner. Der Name kommt von den gabelartigen Stengen, die das rechteckige Großsegel halten. Schoner sind Zweimaster, deren Fockmast entweder niedriger ist als der Großmast oder die gleiche Höhe wie dieser aufweist. Unter dem Strich ein anspruchsvoller Yachttyp, der in Nordeuropa häufiger anzutreffen ist als im Süden. Müsste Ihnen als Hamburger eigentlich bekannt vorkommen.“
„Bin ja auch nur Wahl-Hamburger und selbst unter den waschechten Hummels gibt es vermutlich solche, die einen Gaffelschoner nicht vom Gabelstapler unterscheiden können.“
„Das mag so sein, kann ich nicht beurteilen. Beneidenswert, sagten Sie? Nun ja, wie man´s nimmt. Hienieden streben alle Dinge nach Ausgleich, sagt Konfuzius. Am 13. Februar dieses Jahres hielt sich die Sothern Seas aus Gründen, über die wir bis zum Ende unserer Tage wohl nur spekulieren können, gegen Mittag hier in diesen Gewässern um Redonda auf. Wie wär´s jetzt mit einem Schluck Wasser? Man dehydriert hier sehr schnell, ohne es zu merken.“
Neumeier schüttelte den Kopf.