1
Das Fahrrad war ein Geschenk des Vaters. Zum Geburtstag und zu Weihnachten und unter der Bedingung, dass er ihm das Essen brachte, mittags zur Arbeit.
Im Hafen fragte er sich durch, hielt sich an die Speicher und Schiffe, bei denen der Vater meistens arbeitete.
Die Arbeiter kannten Karl. Manche nannten ihn „Henkelmännchen“, da sie ihn schon oft gesehen hatten, mit dem Kochgeschirr.
„Schickes Rad. Nimmst du mich mal mit?“, rief meist jemand, „bringst du uns jetzt immer das Essen?“
Und wenn er nach dem Vater fragte, schüttelten die Arbeiter den Kopf. Heinrich sei hier nicht, sagten sie, aber das Essen könne Karl gerne hier lassen.
„Ich passe darauf auf“, sagte jemand.
2
Karl hatte Schwierigkeiten, sich auf dem Rad zu halten, da ihn der Wind beinahe vom Sattel wehte. Wie mochte der Vater bei diesem Wetter arbeiten? Er stellte sich vor, wie er dünn und mit hängenden Schultern zwischen seinen Kollegen stand, schuftete und wie ihm die Regentropfen auf den kahlen Kopf pladderten. Die Haare hatte der Vater im Krieg verloren.
Karl zurrte die Jacke enger um sich. Er fühlte sich darin wie in einem Gehäuse. Seine Gedanken drifteten ab. Der Krieg. Er wusste nicht, was das war. Der Krieg schwebte über allem. Wenn es hieß, dass jemand gestorben, verarmt oder nicht bei Trost war, lag es am Krieg, an der Zeitspanne kurz vor seiner Geburt, die in Karls Kopf eine graue Fläche war, aus der alles kam, Erinnerungen, Erzählungen, Witze und das Leid. Baracken aus Wellblech und Spanplatte waren am Deich errichtet worden, für die Flüchtlinge und Ausgebombten, die aber schon so lange darin wohnten, wie er denken konnte.
Heute war er spät dran. Eigentlich hatte er keine Lust gehabt loszufahren. Schon seit Tagen wütete das Wetter, und jetzt war starker Regen dazugekommen, der ihm ins Gesicht peitschte.
Er hatte Angst um das Rad. Mehrfach riss es ihm der Sturm zur Seite, als sei es aus Papier. Ein ungeheures Quietschen hörte er neben sich, und dann sah er eine große Eisenplatte auf ihn zuschlingern. Schnell wich er aus, trat fest in die Pedale. Doch sie prallte gegen die Reifen, und Karl fiel, das Fahrrad im Fallen fest an sich drückend.
Schnell stand er auf und schob das Fahrrad hinter eine Mauer, wo es ihm windgeschützt erschien.
Sollte er es in den Hafen mitnehmen? Was, wenn er es dort verlor? Was würde der Vater sagen, wenn er ohne Fahrrad kam?
Er blickte die Straße hinunter, die Mauer entlang. An einer Stelle war sie durchbrochen und von Gebüsch und einem hohen Baum überwuchert. Er schob das Rad