: Christian Beyer
: Husserls Philosophie
: Felix Meiner Verlag
: 9783787349241
: Blaue Reihe
: 1
: CHF 17.60
:
: 20. und 21. Jahrhundert
: German
: 212
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Band bietet eine einführende Übersicht über Edmund Husserls transzendentale Phänomenologie. Ausgangspunkt und zentraler Text ist die deutsche Erstübersetzung des umfassenden und viel konsultierten Artikels über Husserl in der »Stanford Encyclopedia of Philosophy«. Die nachfolgenden Kapitel vertiefen einzelne Abschnitte dieses Artikels und stellen Bezüge zur neueren analytischen Philosophie her: So geht es zunächst um Husserls Auffassung von Konzepten wie Begriff, Bedeutung, Erfüllung, Lebenswelt, Indexikalität, propositionaler Gehalt und Singularität. Beyer liefert hier die weltweit wohl erste Rekonstruktion von Husserls Konzeption des Gehalts im Sinne des Externalismus (also der Auffassung, wonach die wahrgenommene Umwelt den Bedeutungsgehalt mitbestimmt). Das folgende Kapitel vertieft die Themen Bewusstsein und Zeitbewusstsein, das anschließende behandelt phänomenologische Epoché und Reduktion; dieses Kapitel kann auch als allgemeine Einführung in Husserls transzendentale Philosophie gelesen werden. Anschließend geht es um Personalität und Lebenswelt, Einfühlung und Intersubjektivität sowie Ethik und Wertlehre bei Husserl. Das letzte Kapitel vertieft die Themen Wahrheit, Existenz und Erfüllung, Noema und transzendentaler Idealismus. Der Autor vertritt hier die These, dass Husserl selbst als analytischer Philosoph gelten kann, und kritisiert seinen »Beweis« für den transzendentalen Idealismus.

Christian Beyer ist Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Göttingen; Lehr- und Forschungsaufenthalte u.a. in Stanford, Oslo und Sheffield. Seit 2019 ist er gewähltes Mitglied der Norwegischen Akademie der Wissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. Husserls Phänomenologie und ihr Verhältnis zur älteren (u.a. Bolzano, Frege) und neueren analytischen Philosophie.

Kapitel 2: Husserl über Begriffe


Begriff ist ein schlüpfriger Begriff. Der Terminus wird in Philosophie und Kognitionswissenschaft nicht einheitlich verwendet. Eine gewisse Kernbedeutung lässt sich ausmachen, aber diese ist vage: Begriffe gelten allenthalben als Komponenten oder „Konstituenten“ von „Gedanken“; wobei die jeweils zugrundeliegende Vorstellung eines Gedankens so stark variiert, dass man (schon aus kategorialen Gründen) eigentlich nicht von einem gemeinsamen Untersuchungsgegenstand namens „Begriffe“ sprechen kann.2

Wenn nach einem gemeinsamen Bezugspunkt der heute unter dem Schlagwort „Begriffe“ geführten Debatte(n) gefragt wird, so wäre wohl am ehesten Jerry Fodors BuchConcepts anzuführen (vgl. Fodor 1998). Fodors Adäquatheitsbedingungen für eine Theorie der Begriffe sind alles andere als theorieneutral, was seinen Grund darin hat, dass Fodor seine eigene, „repräsentationalistische Theorie des Geistes (representational theory of mind)“ als „the only game in town“ betrachtet (ebd., 22). Diese Konzeption fasst Begriffe, grob gesprochen, als Komponenten intentionaler Zustände auf. Solche Zustände sind nach Fodor Relationen, in denen Lebewesen zumentalen Repräsentationen (z. B. mentalen Bildern) stehen, die jeweils als Vehikel (Träger) ihres intentionalen Gehalts fungieren. Dabei stellt der intentionale Gehalt (auch: die „Bedeutung“) des intentionalen Zustands die Information dar, die der Zustand (dank einer kausal-nomologischen Beziehung der Kovariation) trägt – etwa die Eigenschaft, Wasser, d. h. H2O, zu sein. Begriffe sind nach Fodor Bestandteile solcher mentalen Repräsentationen und enthalten kausal-funktional individuierte mentaleGegebenheitsweisen (etwa dieWasser- oder die davon verschiedeneH2O-Gegebenheitsweise) intentionaler Gehalte bzw. Gegenstände (vgl. Fodor 1998, Kap. 1).

Obwohl diese kontroverse Begriffsauffassung in Fodors Adäquatheitsbedingungen einfließt, bilden sie so etwas wie eine allgemein anerkannte Verhandlungsbasis in der Theorie der Begriffe:

1.
Begriffe sind (in einem prägnanten Sinne) mentale Entitäten, die in Kausalbeziehungen zu (anderen) Entitäten stehen können.
2.
Begriffe sind auf Gegenstände anwendbar, derart dass diese unter Begriffe fallen.
3.
Begriffe sind Konstituenten von mentalen Repräsentationen mit propositionalem Gehalt, und oftmals auch von (anderen) Begriffen, derart dass der intentionale Gehalt, den eine (propositionale oder sub-propositionale) mentale Repräsentation trägt, eine Funktion des intentionalen Gehalts ihrer Konstituenten ist.
4.
Viele Begriffe werden erlernt.
5.
Begriffe sind öffentliche Gegenstände, derart dass in verschiedenen Personen ein und derselbe Begriff (qua Typ) instanziiert sein kann (vgl. ebd., Kap. 2).

Diese Bedingungen können uns dazu dienen, Husserls Auffassung von Begriffen in den verschiedenen Entwicklungsphasen seiner Phänomenologie zu beleuchten, und damit auch zentrale Ideen seines Denkens. Ich orientiere mich dabei an den folgenden Schriften:

1.
Philosophie der Arithmetik (1891)
2.
Intentionale Gegenstände (1894) undLogische Untersuchungen (1900/01)
3.
Ideen (1913)
4.
Krisis (1930er Jahre)

1.


Husserls Erstling, diePhilosophie der Arithmetik, wird zwar üblicherweise seiner vorphänomenologischen Phase zugerechnet, enthält aber bereits eini