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DAS PFERD
Wir hatten keine Ahnung, wie es dazu gekommen war, aber als wir aufwachten, lag vor dem Hotel ein totes Pferd auf der Straße. Die Sonne stand noch nicht am Himmel, aber es war schon hell. Diese Tageszeit mag ich am liebsten, nicht mehr Nacht und nicht ganz Tag. Es fühlt sich wie ein Beginn an. Man kann rausgehen und sich die Welt ansehen, ohne dass sie einen stört. Normalerweise. Jetzt jedoch lag ein großes totes Tier auf der Straße, umringt von vielleicht fünf, sechs Menschen, die nichts Besseres zu tun hatten, als rumzustehen und Fotos zu knipsen. »Schau nicht hin«, sagte ich zu Frank und wusste, dass er nicht auf mich hören würde. Es waren weder Sattel noch Zügel noch Blut zu sehen, nur ein großes, graues Pferd, tot auf dem Asphalt. Es konnte noch nicht lange dort liegen, bisher waren weder Polizei oder Feuerwehr noch andere Hilfskräfte vor Ort, um sich um den Kadaver zu kümmern. Nur Leute wie wir, die ihren Tag beginnen wollten und im Leben nicht damit gerechnet hätten, dass ihnen buchstäblich ein totes Pferd vor die Füße fällt.
Wir hätten eigentlich schon auf dem Weg zur Arbeit sein sollen, aber so wie ich Frank kannte, würde das hier den Plan ändern, den ganzen Tag verändern. Er würde darüber nachdenken müssen. Im Rückblick hätten wir wahrscheinlich dableiben sollen, auf der Straße mit dem Pferd, damit er sich alles genau ansehen konnte. Damit er seine Schlüsse ziehen konnte. Das wäre besser gewesen. Vielleicht wäre dann der Tag anders verlaufen, vielleicht wäre alles anders gekommen. In dem Moment dachte ich jedoch, je schneller ich Frank von dem Pferd wegbekomme, desto weniger würde er darüber nachdenken. Es war nicht mein erster Irrtum. »Gehen wir«, sagte ich, und da Frank nicht den Eindruck machte, bleiben zu wollen, begaben wir uns ins nächste Diner und setzten uns in eine der hinteren Nischen.
In diesen Phasen sah Frank in den kleinsten Ereignissen ein Omen. Er war kein abergläubischer Mensch, schwarze Katzen, zerbrochene Spiegel, sieben Jahre Pech tangierten ihn nicht. In gewisser Weise war er schlimmer. Er war überzeugt, dass die Welt mit einer effizienten unterschwelligen Bösartigkeit operierte; alles lief nach bestimmten Regeln, und wer achtgab, konnte Schaden von sich abwenden. Er glaubte nicht an Überraschungen oder Zufälle, jedes Ereignis war ein Rädchen im Getriebe einer großen Maschine, die nie innehielt und jene belohnte, die ihren inneren Abläufen folgten, und die bestrafte, die sie ignorierten. Einmal wollten wir uns bei einem ähnlichen Auftrag wie diesem mitten in der Nacht gerade auf den Weg machen, als die Alarmanlage des Hotels losging. Auf allen Fluren blinkten Notlichter und schrillten Alarmglocken. Frank wollte sofort abbrechen und wieder ins Bett gehen. Er weigerte sich, das Zimmer zu verlassen, und wollte mich auch nicht allein gehen lassen. Ich ging trotzdem. Wir hatten einen Auftrag. Da die Aufzüge außer Betrieb waren, musste ich acht Stockwerke zu Fuß runterlaufen. Im siebten Stock saß ein Mann im Rollstuhl und bat mich um Hilfe.
»Allein schaffe ich das nicht«, sagte ich. Er war ein großer Kerl. »Sie können mich nicht einfach hierlassen«, sagte der Mann. Also blieb ich bei ihm und wartete, bis noch jemand kam. Unsere guten Vorsätze wurden schnell von unserem Unvermögen vernichtet. Wir kämpften auf jeder Stufe, hievten den Mann und seinen Rollstuhl vorsichtig nach unten, und mit jedem Stockwerk wurde er mehr und mehr zu Ballast. Dabei mec