Kapitel 1
Der Abend hatte sich über den Campingplatz am Hirschgrund gesenkt. Noch immer war es drückend warm, obwohl die Sonne bereits untergegangen war. Die Fenster standen in der ganzen Wohnung auf Durchzug, doch es rührte sich kein Lüftchen. Ich stand am geöffneten Fenster im Esszimmer und genoss den schönen Blick über meinen gesamten Campingplatz. Jetzt um halb neun liefen noch immer kleine Kinder in Badehosen auf den Wegen herum oder fuhren in kurzen Höschen auf ihren Bobbycars. Keiner hatte Lust, sich ins Bett zu legen und dort weiter zu schwitzen.
Eine Traube von Menschen stand direkt vor dem Lichtpunkt unseres Platzes, dem kleinen Strandcafé von Evelyn. Seit mein depperter Cousin Horst das Café angezündet hatte, waren umfassende Renovierungsarbeiten im Gang, die eine Benutzung unmöglich machten. Aber zu unser aller Glück hatte ein Cousin vom Hetzenegger einen Wohnwagen, der zum Food Truck umgebaut war, und Evelyn durfte ihn den Sommer über nutzen. Es gab also auch nette Verwandtschaft! Als ich ein Geräusch hinter mir hörte, drehte ich mich um und lächelte. Mein Freund Jonas kam ins Zimmer. Nach der Arbeit hatte er schnell geduscht und stand nun in Unterhose vor mir.
Ein sehr erfreulicher Anblick!
Ich folgte ihm ins Schlafzimmer, wo er nach einer kurzen Hose suchte. Mein Telefon klingelte, und als ich die Nummer sah, wischte ich sie einfach weg.
»Wer war das?«, wollte Jonas wissen.
Ich wischte nämlich nie Gespräche weg. Statt auf seine Frage zu antworten, sagte ich: »Ich geh schon mal runter zu Evelyn.«
»Fertig meditiert?«, fragte er lächelnd und gab mir einen kurzen Kuss auf die Lippen.
Ich seufzte. Ich hatte nicht meditiert, sondern nur eine Weile vor mich hingestarrt und die Bauchmuskeln meines Freundes bewundert, die er während des Umziehens hin und wieder angespannt hatte, damit ich was zu sehen bekam. Außerdem konnte ich gerade gar nicht so viel meditieren, wie ich hätte müssen.
»Hab schon gesehen, dass sieben Food Trucks da sind«, merkte er an.
Evelyn hatte ohne mein Wissen den Organisator eines Food-Truck-Festivals angeschrieben, und nun waren wir auf die Schnelle von Freitag bis Sonntag ein Festivalstandort. Und ja, die ersten Food Trucks waren bereits angekommen: Als Allererstes war ein winziger, rosafarbener Wagen mit der geschwungenen Aufschrift »Glücksmomente« neben meiner Scheune aufgestellt worden. Direkt neben den Glücksmomenten parkte ein Food Truck in hellblau, auf dem in Pastelltönen »Crêperie« stand.
Mein Zeltplatz, direkt auf der anderen Seite der Landstraße, eignete sich bestens für diese Aktion. Normalerweise hielt ich ihn für Gruppen und Camper mit Zelten frei, von denen es gerade nicht viele gab. Der reguläre Campingplatz hingegen war voll belegt, vor allem mit Familien, und die meisten Gäste freuten sich sehr über die willkommene Abwechslung und die Gelegenheit, einfach mal nicht kochen zu müssen. Vor allem der Hetzenegger hatte vor, jeden Einzelnen der Food Trucks zu besuchen und sich durch sämtliche Gerichte zu essen.
»Ich hab Evelyn versprochen, noch mal zum Café zu kommen«, sagte ich zu Jonas. »Kommst du mit?«
»Klar«, sagte er.
»Ihr bleibt hier«, sagte ich zu meinen Hunden. In dem Gewühle rund um den kleinen Food-Truck-Wohnwagen konnte ich die drei heute nicht brauchen.
Lola schaute etwas deprimiert drein. Clärchen und Milo hingegen hatten sich schon zusammengekringelt und keine Lust mehr auf eine Abendunternehmung.
Während Jonas und ich über den Campingplatz schlenderten, hielten wir Händchen. Schon von Weitem hörte ich lautes Lachen. Er sah richtig gemütlich aus, der kleine süße Wohnwagen aus den sechziger Jahren, dessen Vorderseite wie bei einem Imbiss offen stand. Auf dem Dach hatte der Hetzenegger zusammen mit dem Schmidkunz eine Leuchtschrift angebracht: Die Buchstaben C a f é leuchteten in vier verschiedenen Farben. Direkt davor hatten die Hirschgrundis Stehtische aufgestellt, die wir von der Brauerei Stöckl ausgeliehen hatten. Für abendliche Zusammenkünfte hatten die Hirschgrunder Damen schöne Lichterketten aufgehängt.
Die Stimmung der Camper, die an den Stehtischen standen und ein Kartenspiel spielten, war auf jeden Fall blendend. Vroni bekam sich gar nicht mehr ein vor Lachen. Nach dem Frust mit Horst und der Trauer über das zerstörte Café war auch Evelyn wieder bester Laune. Sie hatte sich in ein sehr enges rotes Lycra-Schlauchkleid gepresst und trug dazu ihre schwarze Barista-Schürze, die ihr wirklich gut stand.
Evelyn filmte ihre Karten, was sich zusammen mit den Cocktailgläsern und dem Lachen der Camper auf ihrem Instagram Account bestimmt prächtig machen würde.
»Als welches Tier würdest du gerne wiedergeboren werden?«, fragte Evelyn die Schmidkunz.
»Also ich als Walross«, sagte der Hetzenegger, obwohl er nicht dr