: Bettina Gartner
: Nelken für den Mörder Roman. Nach der wahren Geschichte von Pipás Pista
: Edition Raetia
: 9788872839782
: 1
: CHF 11.70
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: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 168
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ungarn, im Mai 1919: Ein Mann. Ein Strick. Darunter ein umgekippter Stuhl. Nichts Neues auf den abgelegenen Bauernhöfen der Puszta. Lange Zeit liegt das wahre Schicksal des Mannes im Dunkeln - bis zwei Polizisten durch Zufall erfahren, dass da jemand nachgeholfen hat: Pipás Pista und seine Kumpane. Und es war nicht ihr einziger Mord. Alles scheint klar zu sein, bis eine überraschende Enthüllung die Ermittler in Bedrängnis bringt.

Geboren 1978, war Wissenschaftsjournalistin für Medien wie 'Bild der Wissenschaft', 'National Geographic' und 'Die Zeit'. Ein Journalistenstipendium führte sie in die ungarische Puszta und brachte sie auf die Geschichte von Pipás Pista. Sie lebt und arbeitet in ihrer Heimatstadt Bruneck, wo sie Geschichte und Philosophie unterrichtet und - neben Romanen - gemeinsam mit ihrer Tochter Lea Kinderbücher schreibt. Bisher erschienen sind der Roman 'Wie der Tod das Lieben lernte', die Erzählung 'Als die Kinder aus den Krautköpfen kamen' und die Kinderbücher 'Der verrückte Bauernhof' sowie 'Kuhnigunde rettet Weihnachten'.

III


Eine schöne Blume, vielen Dank! Und das Wechselgeld zurück. Nelken waren in unserem Land nie schwer zu kriegen, obwohl es oft an vielem gemangelt hat. Ein halbes Menschenleben lang hat alles hier dem Staat gehört: die Banken, die Bergwerke, die Fabriken, die großen Wohnungen und die kleinen Betriebe. Auch der Laden an der Ecke. Ich habe nie zu denjenigen gehört, die rote Nelken vor irgendwelche Denkmäler legen, auch wenn es bei all den Nelken, die ich gekauft habe, den Anschein erwecken könnte. Ich war kein Freund der Volksrepublik. Um ehrlich zu sein, trauere ich noch heute Franz Joseph nach, obwohl jetzt alle von der neuen, der richtigen Republik schwärmen. Aber sie ist jung und muss sich erst noch beweisen.

Nur einmal gab es keine Nelken: im Jahr 1956, während der Revolution. Damals brach sogar der Schwarzmarkt zusammen. Doch es dauerte nicht lange, und alles war wieder beim Alten. In den „Häusern der unendlichen Warteschlangen“, wie wir unsere Ämter nannten, waren starrsinnige Bürokraten am Werk, die unsere Anträge anfangs in den meisten Fällen ablehnten. Irgendwann gewöhnten wir uns aneinander, der Kommunismus und ich. Die Genossen bemühten sich zunehmend, den Menschen zu liefern, wonach sie verlangten. Die meisten wollten ein Auto, ein Motorrad oder einen Fernseher. Ich wollte eine weiße Nelke.

Ich weiß, ich bin altmodisch: Den Toten schenkt man Nelken. In Erinnerung und aus Dankbarkeit. Meine Frau hat mir oft vorgeworfen, ich würde ein Vermögen dafür ausgeben. Wie recht sie hatte, damals schon. Mittlerweile ist meine Frau seit mehr als zehn Jahren tot und konnte nicht ahnen, wie lange das noch gehen würde mit den weißen Nelken, Pipás Pista und mir. Ich habe einmal nachgerechnet: Jede Woche eine Blume, seit 42 Jahren, da kommt ganz schön was zusammen. 42 Jahre! So lange gehe ich schon an Pipás Pistas Grab. Und unsere Geschichte liegt sogar noch weiter zurück.

Ich sage „unsere“ Geschichte, dabei ist es natürlich Pipás Pistas Geschichte. Mein Anteil bestand nur darin, sie ans Licht zu holen, aus dem Dunkel der Vergangenheit zu zerren, wo sie nicht ruhen konnte, weil es in ihr um Mord ging. Ich sagte es bereits: Der Zufall hat mir geholfen. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, obwohl ich eigentlich gar nicht dort sein wollte.

Wir hatten Dienst in Átokháza, Ignácz und ich, und wir wären überall sonst lieber gewesen als in diesem gottverlassenen Krähwinkel. Man muss die Puszta kennen, um uns zu verstehen. Sie ist der eintönigste Flecken in unserem Land, dem es ohnehin an Abwechslung fehlt. In Ungarn gibt es keine Urwälder und keine Palmen; den einzigen großen See, den wir haben, nennen wir Meer. Unsere Hügel sind flach und das Erbe unserer Vorfahren ist bescheiden. Die Puszta ist von Natur aus öde und leer, doch nirgends ist sie so öde und leer wie in Átokháza.

In Átokháza hat der liebe Gott an fast allem gespart: an gutem Boden und an Wasser, an Freude und an Farbe. Die Erde und das Gras sind braun, und die Luft ist voller Sand, den der Wind aufwirbelt. Nur die Genügsamsten überleben: die genügsamsten Pflanzen, die genügsamsten Tiere, die genügsamsten Menschen. Als