(Klosterschule)
Jetzt ist es vorbei mit idyllischer Kindheit in hügeliger Landschaft.
Es wurde beschlossen, dass Helga die Hauptschule in der größeren Stadt, knapp zwanzig Kilometer entfernt von W., besuchen wird. Es wurde beschlossen, dass Helga die nächsten vier Jahre im Internat dieser Klosterschule verbringen wird. Und es wurde beschlossen, dass ihre beste Freundin Ingrid sie begleiten wird.
Wer hat das beschlossen? Warum?
Die größere Stadt ist die Bezirkshauptstadt, eine rote Stadt, eine Arbeiterstadt, eine Fabrikstadt, aber das ist nicht wichtig, weil die Kinder das Internat ohnehin kaum verlassen werden, schon gar nicht ohne die Ordensschwestern, und von der sündigen Stadt mit Rotlichtviertel so gut wie nichts sehen werden.
(Ankunft)
Was ist das für ein Tag im September, an dem Ingrid und Helga von ihren Eltern im Internat der Klosterschule abgegeben werden?
Ich wünsche ihnen noch einmal warmen Sonnenschein, aber ich glaube, es stehen Tropfen auf der Vorderscheibe von Josefs Auto, das neben dem von Fanny und Ernst vor dem großen alten Gebäude parkt.
Auf den Rücksitzen zwei nervöse Zehnjährige, die sich, weil sie es nicht besser wissen, freuen auf die Zeit hier, die vielleicht schon einige der gerade beliebten Mädchenbücher über das Leben im Internat gelesen haben, die, während die Eltern die vielen großen Gepäckstücke aus den Kofferräumen heben, aufgeregt über das Gelände durch den Regen hüpfen und die geheimen Pyjamapartys und Streiche planen, die in ihrer Zukunft liegen.
So wird das hier nicht sein.
(Der Gebäudekomplex)
Die Klosterschule liegt am Stadtrand, nahe der Bundesstraße, fast am Fluss. Neben der Schule ist ein Sportplatz, davor eine Grünanlage; hier befindet sich auch der Gemüsegarten der Internatsküche.
Im alten, zweiteiligen Gebäude, auf dessen linker HälfteSt. Anna, auf dessen rechter Hälfte im Jahr 1964 immer nochWaisenhaussteht, obwohl es zu diesem Zeitpunkt schon lange keines mehr ist, befindet sich das Internat für die Schülerinnen und Schüler: die Knaben im oberen Stock, die Mädchen darunter, ganz unten die Wirtschaftsräume.
Im neueren Gebäude, das links an das alte angrenzt, sind die Klassenräume, in denen die Buben und Mädchen gemeinsam sitzen, untergebracht. An die Schule schließt sich die kleine Kirche an; es ist zu dieser Zeit möglich, von den Räumen des Internats durch die Schule bis in die Kapelle durchzugehen. So müssen die Kinder das Gebäude von Sankt Anna nur selten verlassen.
(Abschied)
Für die nächsten vier Wochen werden die Kinder ihre Eltern nicht sehen; sie sollen sich an die Trennung von Mutter und Vater, an das Heimweh gewöhnen.
Nachdem die Koffer hinaufgetragen und die Formalitäten erledigt sind, ist es Zeit, Abschied zu nehmen. Er fällt manchen schwerer und anderen leichter, Josef und Helga haben Tränen in den Augen, während Ingrid schon so sehr ins Gespräch mit den anderen Mädchen vertieft ist, dass sie ihren Eltern nur noch von Weitem zuwinkt. Josefa drängt darauf, aufzubrechen und die Kinder in Ruhe ankommen zu lassen.
Die Mädchen beziehen ihre Betten: Das von Helga steht am Fenster, das von Ingrid daneben. Es ist ein Schlafsaal mit etwa fünfzehn Kinderbetten aus Stahlrohr, eines neben dem anderen, zwei Bettenreihen