: Flora S. Mahler
: Julie Leyroux Roman
: Müry Salzmann
: 9783990142783
: 1
: CHF 16.10
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 235
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Julie Leyroux ist eine der angesagtesten Konzeptkünstlerinnen. Ihre Wiener Galeristin Ann hat sie groß gemacht. Längst spielt Julie in der internationalen Topliga, Ann wird zunehmend zum Klotz am Bein. Julie Leyroux ist vor allem auch ein weiblicher Don Juan - sie verführt allerdings nicht nur, sondern kann auch lieben. Sehr sogar. Mona zum Beispiel, mit der sie an der Wiener Akademie am Schillerplatz Kunst studiert hat. Und Julie ist Schwester, Halbschwester eigentlich, des Pariser Philosophieprofessors Robert; mit Julie kam eine Kraft in sein Leben, die er ihr am Ende zurückgeben kann. Mona, Ann und Robert: Sie erzählen ihre Geschichten mit Julie Leyroux, deren Fäden sich nach und nach zu einem großen, mitreißenden Tableau verweben. Fabelhaft gelingt Flora S. Mahler mit ihrem Erstling eine Nahaufnahme des Kunstbetriebs, eine authentische Innenschau der Gefühls- und Arbeitswelten der Thirtysomethings - ein Roman, der mit den naheliegenden und zugleich großen Themen des Lebens berauscht: der Liebe, der Arbeit, dem Tod und dem Weltall. Auszug aus Julie Leyroux Dieses Material ist möglicherweise urheberrechtlich geschützt.

Flora S. Mahler wurde 1975 in Wien geboren. Sie studierte Philosophie und Germanistik. Ihre literarischen Texte wurden in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht, unter anderem in 'Literatur und Kritik' und 'die Rampe'. Seit 2005 arbeitet sie als bildende Künstlerin im Kollektiv Asgar/Gabriel. 'Julie Leyroux' ist ihr Romandebüt. Auszug aus Julie Leyroux Dieses Material ist möglicherweise urheberrechtlich geschützt.

Ein Vormittag Ende Jänner 2016 in Wien

„Einmaligkeit ist überbewertet“, hatte Ann unlängst nach jetlagbedingt langen, schlaflosen Stunden auf das abgerissene Etikett einer Wasserflasche gekritzelt, die wie üblich auf ihrem Nachtkästchen stand. Weil sie die Regel, nicht die Ausnahme war und jede Wiederholung nie einfach nur als Nachhall eines stärkeren, besseren Originals gesehen werden konnte, sondern ... Als ihr am Morgen beim Duschen dieses Satzfragment wieder in den Sinn kam und sie bald, in ein Handtuch gewickelt, auf dem Etikett nach seiner Fortsetzung suchte, stellte sie fest, dass ihre Notiz genau an jenem Punkt, an dem es auch ihre Erinnerung tat, abbrach. Auf ­einem der Papiertaschentücher, auch sie stets in Griffweite neben ihrem Bett, entdeckte sie dann zwar noch die Worte­ „verdichtete Zeit“ und „Versprechen“, konnte aber beim besten Willen nicht mehr sagen, wie und ob sie diesen Gedanken fortführten.

Es war nur ein einziger kristallheller Tropfen, der sich an Julies nacktem Bein den Weg nach unten bahnte. Dies geschah 2002, anlässlich jener Gruppenausstellung in Anns Galerie, mit der ihre Zusammenarbeit begann. Noch während Ann überlegte – sie hatte Julies Möse von ihrem Platz aus nicht sehen können –, wie Julie es anstellte, dass sie so trocken blieb, und zu dem Schluss kam, dass sie nicht rasiert war und die Schamhaare alles auffingen, war der Tropfen perlengroß unter ihrem Rock hervorgerollt. Julie, die sich gerade mit jemand unterhielt, reagierte nicht auf ihn. Auch sonst schien ihn niemand zu bemerken. Nur Ann war wie hypnotisiert. Sie folgte gebannt der glänzenden Spur, die er auf Julies sommerbrauner Haut hinterließ, während er an der Innenseite ihres Oberschenkels auf das Knie zulief. Als Julie ihr Bein leicht anhob, wurde er langsamer, gewann dafür an Geschwindigkeit, sobald sie es wieder abstellte. Doch bevor der Tropfen Julies Knöchel erreichen und sich in ihrem Sneaker hatte auflösen können, entdeckte ihn eine der beiden Freundinnen, die Julie nach Wien begleitet hatten, beugte sich nach vor und fing ihn mit dem Zeigefinger auf. Dann steckte sie sich den Finger in den Mund.

Ann hatte dieses Bild ungewollt vor Augen, als sie zwei Tage später auf einem improvisierten Podium neben ­Julie saß. Nur seinetwegen hatte sie das Künstlerinnengespräch von der Galerie in den begrünten Innenhof verlegt. Weil sie Sorge hatte, sie könnte sich drinnen nicht konzentrieren, wenn sie das Pissoir, das dort mitten im Raum auf einem Podest lag, dauernd im Blick hatte. Es ärgerte sie, dass sie dieser Tropfen so reizte, trotzdem schaffte sie Stühle und Klapptische in den Hof. Ganz allein, denn in dieser Phase ihrer Selbstständigkeit war das Geld so knapp, dass sie sich nicht einmal eine Praktikantin leisten konnte und außer der Kuratorin, die mit verstauchtem Fuß in ihrem Büro saß, niemand da war, den sie hätte fragen können. Es war ein ungewöhnlich warmer Herbstnachmittag. Als Ann auf Wunsch der Kuratorin noch einige Decken aus dem Lager holte, die sonst beim Transport fragiler Arbeiten Verwendung fanden, war ihr Dekolleténass vor Schweiß. Und das, obwohl Ann sonst nie schwitzte,­ selbst beim Joggen höchstens rot anlief und nicht feuchte,­ sondern kalte Hände bekam, wenn sie nervös war. Deshalb hatte sie ihre Podiums-Bluse im Lager schnell gegen ein T-Shirt mit „Galeristin“-Aufdruck getauscht, das Einstands­gesch