: Patrick J. Deneen
: Warum der Liberalismus gescheitert ist
: Müry Salzmann
: 9783990142776
: 1
: CHF 19.90
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: Politische Theorien und Ideengeschichte
: German
: 294
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Liberalismus ist gescheitert, weil er gesiegt hat. Das ist Patrick J. Deneens wichtigste These. Je erfolgreicher der Liberalismus wurde, desto stärker hat er seine Selbstwidersprüche offenbart: Er war angetreten für größere Gleichheit, für kulturellen Pluralismus, den Schutz der menschlichen Würde und die Erweiterung der Freiheit. In Wahrheit hat er nun zu titanischer Ungleichheit geführt, zu materiellem und geistigem Verfall und der Unterhöhlung der Freiheit. Diese Symptome mit noch mehr Liberalismus bekämpfen wollen, vertieft nur die politische, soziale, ökonomische und moralische Krise. Die Atomisierung der Gesellschaft, die den Menschen aus seinen traditionellen Bindungen herauslöst, lässt sich durch weitere Deregulierung nicht aufhalten. Daher stehen wir heute vor der paradoxen Situation: Die Bürger der digitalmodernen Demokratien dürfen sich freier denn je fühlen und erleben sich zugleich als machtlos. Und dies kommt den rechten Rebellen zugute...

Patrick J. Deneen Professor für Politikwissenschaften, Inhaber des David A. Potenziani Memorial College Chair of Constitutional Studies an der University of Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana. Hat zuvor viele Jahre an der Princeton University und dann an der Georgetown University gelehrt. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, darunter 'The Odyssey of Political Theory' oder 'Democratic Faith', Herausgeber diverser Bände. Er lebt in South Bend, Indiana.

Das wichtigste Ziel des Liberalismus drückt sich schon im Wort selbst aus: Freiheit. Dank seines grundlegenden Bekenntnisses zum tief in der menschlichen Seele verankerten Freiheitswillen hat sich der Liberalismus als attraktiv und belastbar erwiesen. Sein historischer Aufstieg und seine weltweite Anziehungskraft sind kaum zufällig. Er hat vor allem Menschen angesprochen, die Willkürherrschaft, Ungleichheit, Ungerechtigkeit und anhaltender Armut ausgesetzt waren. Keine andere politische Philosophie hat in der Praxis für größeren Wohlstand und eine relative politische Stabilität gesorgt und so geregelt und planmäßig die Freiheit des Einzelnen gefördert. Es gab also plausible Gründe dafür, dass Francis Fukuyama 1989 erklärte, die lange Debatte über ideale Regime sei beendet und der Liberalismus die Endstation der Geschichte.

Freilich hat der Liberalismus die menschliche Sehnsucht nach Freiheit nicht entdeckt oder erfunden: Das Wortlibertas ist schon alt, und die Verwirklichung der Freiheit war seit den ersten Streifzügen in die politische Philosophie im antiken Griechenland und Rom ein vorrangiges Ziel. Die Gründungstexte der westlichen politischen Philosophie konzentrierten sich insbesondere auf die Frage, wie der Impuls zur Tyrannei und ihre Durchsetzung zu verhindern seien. Bezeichnenderweise sahen sie in der Kultivierung von Tugend und Selbstbeherrschung die wichtigsten Korrektive dagegen. Vor allem die Griechen betrachteten die Selbstverwaltung als das verbindende Moment zwischen Individuum und Gemeinwesen. Ihre Verwirklichung galt als möglich, wenn beide Pole – jedes Individuum und das Gemeinwesen als Ganzes – die Tugenden der Besonnenheit, Weisheit, Mäßigung und Gerechtigkeit gemeinsam hochhielten und förderten. Selbstverwaltung in der Stadt war nur möglich, wenn Selbstverwaltung die Bürger regierte; und dies wiederum war nur in einer Stadt zu verwirklichen, die begriff, dass die Staatsbürgerschaft selbst – im Gesetz wie in den Bräuchen – eine Art fortwährende Einübung dieser Tugenden darstellte. Die griechische Philosophie sah diepaideia, die Erziehung zur Tugend, als einen der besten Wege, der Entstehung von Gewaltherrschaft vorzubeugen und die Freiheit der Bürger zu schützen. Neben diesen Überlegungen gab es allerdings auch (und nicht immer einfache) Rechtfertigungen für Ungleichheit. Beispielhaft dafür ist neben dem Ruf nach einem weisen Herrscher aus einer Herrscherklasse auch die Beibehaltung der Sklaverei.

Die philosophischen Traditionen Roms und des christlichen Mittelalters hielten an der Kultivierung der Tugend als wichtigsten Schutz vor Tyrannei fest, entwickelten aber auch institutionelle Strukturen, die die Macht der Herrscher überwachen und – in unterschiedlichem Grad – Möglichkeiten einer informellen, mitunter formellen Einbeziehung der öffentlichen Meinung in die politische Herrschaft bieten sollten. Viele institutionalisierte Regierungsformen, die wir heute mit dem Liberalismus in Verbindung bringen, waren zumindest im Kern bereits jahrhundertelang vor der Neuzeit entwickelt worden, darunter Konstitutionalismus, Gewaltenteilung, die Trennung von Kirche und Staat, Rechte und Schutz gegen Willkürherrschaft, Föderalismus, Rechtsstaatlichkeit und die Beschränkung der Staatsgewalt.1 Der Schutz der Personenrechte und der Glaube an die Unantastbarkeit der Menschenwürde waren, wenn auch nicht immer konsequent a