: Tim Staffel
: Wasserspiel Roman
: Kanon Verlag
: 9783985681785
: 1
: CHF 19.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Tim Staffels rasendes Gespu?r fu?r Rhythmus macht su?chtig.« Julia Franck Roberto Böger hat Angst vor Wasser. Dennoch ist es sein Element. Als rastloser Zeuge bereist er die Welt, um Wasserverbrechen zu dokumentieren. Dann wird ausgerechnet in seiner Heimatstadt Lüren das Wasser knapp. Roberto kehrt an den Urquell seiner Angst zurück. Er trifft auf Gleichgesinnte und sein jüngeres Ich. Kann er sich freischwimmen?   Tim Staffel hat einen großen Roman über ein drängendes Thema unserer Zeit geschrieben. Ebenso visionär wie unterhaltsam erzählt er vom gewaltigen Kampf ums Wasser. In einer Sprache, die fließt. 

Tim Staffel hat vier Romane veröffentlicht. Sein Debüt »Terrordrom«  wurde 1998 von Frank Castorf für die Volksbühne dramatisiert. Daneben schrieb Staffel zahlreiche Hörspiele. Er wurde u. a. mit dem Alfred-Döblin-Stipendium und mehrmals mit dem Literatur-Stipendium des Deutschen Literaturfonds ausgezeichnet. Sein Roman »Südstern« stand 2023 auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. 2024 erhielt er das London-Stipendium des Deutschen Literaturfonds.

PROLOG
SEEPFERDCHEN


ROBERTO

Wir waren uns so nahe, es hätten gerade einmal acht Gramm Papier zwischen uns gepasst. Jetzt sind es Länder, Kontinente, vielleicht ein Ozean. »Spring«, sagst du, aber ich kann nicht, nicht einmal für dich, das weiß ich nur noch nicht.

Ich habe einen ganzen Sommer lang geübt, bin zwei Jahre älter und etliche Zentimeter größer als alle anderen im Kurs. Im Wasser fällt es nicht auf, unter Wasser erst recht nicht. Unter Wasser mache ich die Augen zu und bemühe mich, nicht zu atmen. Unter Wasser ist Teil der Übungen. Am Boden des Beckens liegt ein roter Gummiring, den müssen wir bergen und an die Oberfläche bringen. Ich stehe im Wasser, mein Kopf ragt heraus, dann soll ich kopfüber untertauchen und den Ring herausholen, ohne dabei zu ertrinken. Meine Schwimmlehrerin behauptet gegenüber meiner Mutter, ich sei bereit. Sie hat recht. Ich bin bereit, es hinter mich zu bringen. Meine Mutter will mich zur Prüfung begleiten. Sie freut sich auf das Seepferd, auf einen Sohn, der schwimmen kann.

Am Morgen des großen Tages wache ich schweißgebadet auf. Mein Vater ist schon aus dem Haus, unterwegs zu Papier Böger, unsererFirma. In Lüren, in ganz Ostwestfalen schreiben sie in unsere Schulhefte; auf jedem Klassenarbeitsheft steht der Schriftzug Böger drauf. Jede schlechte Note wird mit meinem Namen in Verbindung gebracht. Meine Mutter lächelt und drückt mir am Frühstückstisch ein Päckchen in die Hand. Ich wickele gelb-rot gestreifteBadeshorts aus dem Geschenkpapier der Marke Böger. Mir ist es egal, in welchen Shorts ich baden gehe. Draußen ist es sommerwarm, obwohl es regnet. Die Regentropfen platschen auf die Wasseroberfläche des Pools und kräuseln sie. Ich sehe den Beckenboden nicht, weil da keiner mehr ist. Meine Mutter steht mit anderen Eltern zusammen unter einem großen Sonnenschirm und winkt mir zu. Ich stehe in gelb-rot gestreiftenBadeshorts am Beckenrand. Ich bin der Zweite von links. Es regnet. Der Regen wühlt das Wasser auf. Da ist kein Grund mehr. Ich zittere. Meine Zähne klappern aufeinander. Mein Kopf tut höllisch weh. Wir stehen in einer Reihe neben und zwischen den Startblöcken. Ich bin der Einzige, der zittert. Wir sollen näher an den Beckenrand herantreten, so nah, dass unsere Zehen knapp über den Rand hinausragen. Das Trillern der Pfeife unserer Lehrerin schrillt aus weiter Ferne in meine Ohren, in meinen Kopf hinein. Sie steht beinahe neben mir, direkt neben dem Ersten von links, aber ich bin unendlich weit weg. Ich bleibe als Einziger stehen. Alle anderen springen, schwimmen im Regen, unter ihnen die Tiefe. Ich zittere heftiger, spüre eine Hand auf meiner Schulter; sie gehört der Lehrerin. Mir wird schwindelig. Meine Mutter kniet vor mir. Sie befühlt meine Stirn. Ich bibbere. Die Lehrerin zieht sich zurück. Meine Mutter legt ein Handtuch um meine Schultern. Wir bekommen nicht mit, wie die an