Die ganze Welt wird immer besser
Ich heiße Arkadia Fink, meine Augenfarbe ist grau und ich wurde am 1. Januar 1979 geboren. Das steht jedenfalls in meinem Perso. Aber die meisten Leute nennen mich Moll, meine Augenfarbe ist manchmal auch blau und ich wurde erst richtig geboren, als meine Mutter kurz weggegangen ist.
Das ist jetzt acht Monate, drei Wochen und sechs Tage her. Es macht mir nichts aus, ich komme gut ohne sie klar und schlafe tief. So tief, als würde sie mich jeden Abend in den Schlaf singen. (Ja, ich bin dreizehn und lasse mich noch von meiner Mutter in den Schlaf singen. Wer das komisch findet, hat bestimmt keine Mutter, die ihn in den Schlaf singt.) Meine absolute innere Ruhe kommt daher, dass ich nicht daran denke, was passiert ist. Ich bin sehr beliebt im Dorf und habe eine Menge Freunde. Sie wollen dauernd meine Stimme hören. Eines Tages werde ich zu den überragenden Persönlichkeiten der Musikgeschichte zählen. Das wissen die nicht, aber irgendwie wissen sie es doch. Sobald ich singe, haben alle Tränen in den Augen. Selbst die Jungs mit den geschwollenen Kehlköpfen. Es stimmt nicht, dass sie mich neulich gezwungen haben, das Kleid meiner Mutter auszuziehen, was ich am liebsten trage, und fast nackt über die Hauptstraße zu rennen und dabei die Bayernhymne zu singen. Das ist nur eine Geschichte, über die ich selbst gut lachen kann, weil sie unrealistisch ist.
Mein Vater kommt mit der Abwesenheit meiner Mutter nicht so gut klar wie ich. Das weiß ich, weil ich ihn gefragt habe, wie er damit klarkommt, und er hat geantwortet: »Gut.« Mein Vater sagt dauernd, ich darf ruhig traurig sein. Damit will er sagen, dass ich traurig sein soll. Er sieht mich dann an, als würde ich ihn enttäuschen, weil ich nicht flenne. Er geht zum Weinen in seine Schreinerei. Wenn er die Kreissäge anschmeißt, zerteilt er nicht Holz, sondern sein Schluchzen. Ich habe das heimlich durch eines der vielen staubigen Fenster beobachtet. Das Weinen ist wie eine Krankheit, es überfällt ihn in Schüben. Am meisten weint er mit seinen Händen. Das Zittern kann so stark werden, dass er seine Gabel, den Hammer oder die Zahnbürste weglegen und die Hände in seine Hosentaschen stecken muss, damit sie sich beruhigen. Er hat seit acht Monaten, drei Wochen und sechs Tagen nichts mehr geschreinert. Ich weiß nicht, wie lange unser Gespartes reichen wird. Für den Klingelbeutel nimmt er sonntags nur noch Münzen mit, und auf der Kommode in unserem Flur stapeln sich Rechnungen. Aber wenn ich meinen Vater frage, ob wir Geld brauchen, sagt er: »Nein.«
Dass er nicht mehr schreinert, ist besonders schlimm für seine Hände. Sie sind für Holz gemacht. Und ich glaube auch, dass Holz für seine Hände gemacht ist. Er hat unser Haus gebaut und die meisten Möbel darin. Natürlich hatte er dabei Hilfe, doch es gibt kein Teil, über das er nicht mitentschieden hat. Wenn er Holz prüft, sieht er nicht nur mit den Augen genau hin, er lässt auch seine Hände darübergleiten. Das Holz spricht zu ihm, wie eine Melodie zu mir spricht. Sitzen wir beim Abendbrot in der Stube, schimmern die Narben auf seinen Händen im Licht der Deckenlampe. Sein Blut ist in dem Holz um uns herum. Ich frage mich, ob er Holz so sehr mag, dass ihm die Verletzungen nichts ausmachen, oder ob er das Holz wegen der Verletzungen mag.
Wie auch immer, mein Vater ist zurzeit jedenfalls nicht richtig mein Vater. Selbst wenn wir wüssten, wo meine Mutter ist, könnte er sie nicht zurückholen. Sie würde ihn wahrscheinlich fragen:Wer bist du denn? Und er würde antworten:Ich weiß es nicht, wenn du nicht da bist. Und dann würde sie sagen:Ich kann erst wieder da sein, wenn du wieder du bist. Und dann würde er wahrscheinlich weinen.
Wenigstens ist meine beste Freundin immer noch sie selbst. Sie heißt Bernhardina. (Ihre Eltern hielten das für eine gute Idee.) Früher war sie Musiklehrerin in Namibia oder, wie sie das nennt, imguten, alten Südwestafrika. Heute lebt sie imSENIORENDOMIZIL PHOENIX. (Ihre Kinder hielten das für eine gute Idee.) Meine Mutter und ich haben Bernhardina bei