Kapitel 1
Ein Fasan strich den Hügel entlang. Fast streiften seine Flügel das Gras. Dann schlug er sie zusammen, stieg in die Höhe und verschwand hinter der Kuppe des Hügels im Dickicht. Zwei Jungen und ein Hund verfolgten ihn vom Tal her. Der Hund lief voran; weit hing ihm die Zunge heraus und flog ihm um die Schnauze. Schulter an Schulter rannten die Zwillinge hinter ihm her. Beide schwitzten, und dunkle Schweißflecken zeichneten sich auf ihren Khakihemden ab. Obwohl die Sonne bereits auf halbmast stand, strahlte sie hier in Afrika noch immer Hitze genug aus.
Der Hund hatte die Spur des Vogels gefunden und hielt inne. Eine Sekunde lang stand er gespannt und sog den Geruch der Fährte ein. Dann nahm er die Spur auf. Schnell, ab und zu vor- und zurücklaufend, die Schnauze am Boden, wand er sich durch das trockene braune Gras. Nur sein erregt wedelnder Schwanz war noch zu sehen. Die Zwillinge folgten ihm. Sie atmeten schwer, denn es ging jetzt ziemlich steil bergauf.
»Bleib auf deiner Seite, sonst kommst du mir in den Weg«, schrie Sean seinem Bruder zu, und Garrick gehorchte sofort. Sean war für ihn der Ältere, er war etwa zehn Zentimeter größer und zwanzig Pfund schwerer, und schon das gab ihm das Recht zu befehlen. Sean konzentrierte sich jetzt wieder ganz auf den Hund.
»Such, Tinker, such ihn! So ist’s brav!«
Tinkers Schwanz bestätigte, daß er Seans Instruktionen verstanden hatte, und seine Nase blieb weiter dicht am Boden. Die Zwillinge folgten ihm und warteten gespannt auf den Moment, da der Vogel auffliegen würde. Sie trugen beide Wurfstöcke, schlichen jetzt langsam vorwärts und gaben sich Mühe, ihren Atem unter Kontrolle zu halten. Tinker fand den Vogel, der sich flach ins Gras geduckt hatte. Der Hund sprang vor und gab zum erstenmal Laut. Der Fasan flog auf. Es machte einen ziemlichen Lärm, als er mit den Flügeln schlug und sich aus dem Gras hochschnellte.
Sean warf zuerst. Sein Stock zischte an dem Vogel vorbei. Der Fasan drehte ab und schlug verzweifelt mit den Flügeln, um Höhe zu gewinnen, als Garrick warf. Sein Stock wirbelte nach oben und traf genau den fetten braunen Leib des Fasans. Der Vogel taumelte, Federn flogen herunter – dann stürzte er ab. Sie gingen ihm nach. Der Fasan versuchte, mit gebrochenen Flügeln durch das Gras zu entkommen, und sie schrien vor Erregung, während sie ihn jagten. Bis Sean ihn erwischte. Er drehte ihm den Hals um, stand lachend da und hielt den warmen braunen Vogel in den Händen, bis Garrick bei ihm war.
»Prima, Garrick. Das war ein toller Wurf.«
Tinker sprang an Sean hoch, um das Tier zu beschnüffeln. Sean beugte sich hinunter und ließ ihn seine Nase am warmen Balg reiben. Tinker schnupperte und versuchte die Beute zu schnappen. Aber Sean schob seinen Kopf weg und warf den Vogel Garrick zu. Garrick hing ihn zu den anderen an seinen Gürtel.
»Wie weit, glaubst du, war der Wurf – fünfzehn Meter?« fragte Garrick.
»So weit nicht«, meinte Sean. »Ich würde eher sagen zehn.«
»Also ich glaube, es waren mindestens fünfzehn. Ich glaube, es war weiter, als du heute geworfen hast.« Der Erfolg machte Garrick frech. Das Lächeln verschwand aus Seans Gesicht.
»Meinst du?« fragte er.
»Bestimmt!« sagte Garrick. Sean strich sich mit dem Handrücken das Haar aus dem Gesicht. Sein Haar war schwarz und weich und fiel ihm ständig in die Stirn.
»Und das unten am Fluß? Das war mindestens zweimal so weit.«
»Wirklich?« fragte Garrick.
»Wirklich!« sagte Sean grob.
»Na, wenn du so gut bist, wie kam es, daß du diesen hier verfehlt hast? Du hast doch zuerst geworfen. Wie war es möglich, daß du ihn nicht getroffen hast?«
Seans bereits gerötetes Gesicht verfinsterte sich, und Garrick stellte plötzlich fest, daß er zu weit gegangen war. Er steckte zurück.
»Möchtest du wetten?« fragte Sean. Es war Garrick nicht ganz klar, worum Sean wetten wollte, aber frühere Erfahrungen hatten ihn gelehrt, daß die Sache, egal worum es ging, meist durch einen schlichten Zweikampf geregelt werden würde. Nur sehr selten hatte Garrick eine Wette gegen Sean gewonnen.
»Es ist schon zu spät. Wir gehen besser nach Haus. Wenn wir zu spät zum Essen kommen, gibt’s Dresche von Pa.« Sean zögerte einen Augenblick, Garrick holte unterdessen seinen Wurfstock, und dann ging es nach Hause. Sean lief zuerst hinter, dann neben seinem Bruder, schließlich führte er. Nachdem er seiner Meinung nach eindeutig bewiesen hatte, daß er der Bessere im Stockwerfen war, war Sean jetzt bereit zu vergeben. Über die Schulter fragte er: »Was für ein Fohlen, glaubst du, wird Gipsy werfen?«
Garrick akzeptierte den Friedensvorschlag mit Erleichterung, und bald gab es ein freundliches Gespräch über dieses und noch ein Dutzend anderer bedeutender Ereignisse. Sie rannten. Außer der Stunde, die sie an einem schattigen Plätzchen am Fluß gerastet und zwei ihrer Fasanen gebraten und gegessen hatten, waren sie den ganzen Tag gelaufen.
Hier oben auf dem Plateau wuchs hauptsächlich Gras, weiches, trockenes Gras in der Farbe reifen Weizens. Hinter ihnen und zu beiden Seiten breitete sich dieser Grasteppich aus, so weit das Auge reichte.
Sie stapften durch das hüfthohe Gras. Plötzlich standen sie vor einem Steilhang. Am Fuß des Hanges begannen die Tugela Fiats. Der Tugela-Fluß war von hier nur noch dreißig Kilometer entfernt, aber heute war ein solcher Dun