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niemals Heimweh
Brombeerranken wuchsen wild am Mauerwerk. Der hellgrüne Putz war fahl geworden.Heruntergekommen,verwahrlost, ohne Aussicht auf Fürsorge, fristete das Haus die Jahre nach dem Verkauf ein betrübliches Dasein. Längst waren wir ausgezogen, die Omia war vor geraumer Zeit gestorben. Der neue Besitzer vernachlässigte das Gebäude. Bevor es ein Opfer drohenden Verfalls wurde, ließ er es abreißen. Die Obstbäume wurden gerodet, der Garten eingeebnet.
Obwohl hier die 30er Jahre und der Krieg die Jugend der Mutter bestimmt hatten, war sie es, die das Haus nach dem Tod der Omia unbedingt verkaufen wollte. Sie vermisste schmerzlich ihre Mutter, das Elternhaus schien ihr ohne Belang. Von ihrer Jugend hat sie selten gesprochen, Fragmentarisches erzählte sie, das meiste blieb ungesagt. Bruder Hans und Schwägerin Sophie waren mit dem Verkauf einverstanden, alle verfügten inzwischen selbst über Eigentum. Vermietung wäre nicht infrage gekommen, in diesem ländlichen Milieu lebte man nicht zur Miete.
Einige Wochen nach dem Schulabschluss hatte ich die Gegend verlassen, war selten zu kurzen Besuchen zurückgekommen. Niemals verspürte ich Sehnsucht, niemals bemerkte ich die geringste Spur von Heimweh. Doch wie oft bin ich in Gedanken, die Kindheitserinnerungen im Kopf, durch die bescheidenen Zimmer, den Garten und die Obstwiese gelaufen, habe renoviert, umgebaut und renaturiert. Hunderte Kilometer trennten mich seit langem vom Ort dieser Visionen. Sechzehn Jahre lang war dort mein Zuhause gewesen, Heimat war es mir nie. Dörfliche Enge, eine herbe Abgeschiedenheit prägten die bodenständige, bäuerliche Gemeinde. Die vielen zugewanderten Arbeiter, seit Ende des 19. Jahrhunderts fanden sie im benachbarten Chemiebetrieb ihren Unterhalt, änderten daran wenig.
Aber warum nur wollte ich, wenn ich dort in der Nähe war, zumindest einmal nach »unserem« alten Haus und sogar zum Hof der Tante Bäbchen – der Schwester der Omia – schauen? Auch dieses Gebäude war längst in fremdem Besitz. Warum haben sich meine Gedanken wieder und wieder in den Vorstellungen von Restaurierung und Renaturierung verstrickt?
Die Mutter, deren 14 Jahre jüngerer Bruder Hans und ich wurden in einer kärglichen Mansarde in diesem Haus der Omia geboren. Entscheidende Phasen unseres Lebens hat es geprägt. Die Eltern, ich und nachher meine zehn Jahre jüngere Schwester Paula bewohnten die Räume links vom Eingang. Die Omia und Hans lebten rechts vom Eingang. Links, das war ein kleines Wohnzimmer mit einem Kohleofen und einer dahinter liegenden noch kleineren Küche, so winzig, dass es keiner Heizung bedurfte. Trotz der Enge, des Mangels und der Unzulänglichkeit habe ich in der Kindheit nie Armut oder Bedürftigkeit empfunden.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit mussten sich die Menschen mit dem begnügen, was übrig war, was Bomben, Plünderungen und Willkür an Hab und Gut gelassen hatten. Das Haus ist von größeren Beschädigungen verschont geblieben. Nach Aufhebung der Einquartierung richtete sich die Familie wieder in den einfachen Wohnräumen einund die Eltern, Elli und Bert, konnten endlich heiraten. Die Trauung fand unter ärmlichen Bedingungen statt. Rationierungen und Nahrungsmittelmarken gehörten weiter zur Normalität. Trotzdem wurden die Gäste, Familie und Nachbarn nach der kirchlichen Zeremonie mit köstlichem Kartoffelsalat bewirtet. Ausreichend für alle, war er in einer kleinen Zinkwanne zubereitet worden.Die Eier hatten die Hühner gelegt, die übrigen Zutaten, Kartoffeln, Gurken, Kräuter und Lauch, wuchsen im Garten. Zur Feier des Tages wurde »Knolli« serviert, selbstgebrannter Kartoffelschnaps. Wer wollte bei einem solch freudigen Ereignis an einer privaten Destillation Anstoß nehmen?
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